Leitsatz (amtlich)
Zur Vertretung des betroffenen Kindes und Kenntniszurechnung im Vaterschaftsanfechtungsverfahren bei alleiniger Sorge der mit dem rechtlichen Vater nicht verheirateten Kindesmutter.
Zu den (engen) Voraussetzungen des Neubeginns der Vaterschaftsanfechtungsfrist für das betroffene Kind aus Unzumutbarkeitsgesichtspunkten.
Normenkette
BGB § 1600b Abs. 1, 6, § 1629 Abs. 2, §§ 1795-1796
Tenor
Dem Betroffenen wird die von ihm für seine beabsichtigte Beschwerde beantragte Verfahrenskostenhilfe versagt.
Gründe
I. Der am 13.10.2002 geborene minderjährige Betroffene möchte sich gegen eine seiner alleinsorgeberechtigten Mutter am 20.04.2018 und seinem Ergänzungspfleger, dem Jugendamt des Kreises Neuwied, am 02.05.2018 zugestellten Entscheidung des Amtsgerichts Linz vom 18.04.2018 wenden. Mit dieser hat das Familiengericht den im Jahr 2017 anhängig gemachten Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft seines schon 2011 verstorbenen rechtlichen Vaters abgewiesen. Die Ehe zwischen der Kindesmutter und dem rechtlichen Vater war im Jahr 2004 geschieden worden.
Zur Begründung hat das Familiengericht ausgeführt, dass aufgrund Mehrverkehrskenntnis der Kindesmutter die Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 BGB abgelaufen sei. Gleiches gelte für weitere auf Unzumutbarkeitsgesichtspunkte gestützte Anfechtungsfristen des Kindes nach § 1600b Abs. 6 BGB, nachdem der rechtliche Vater bereits am 05.08.2011 verstorben sei und die Kindesmutter den Putativvater, der den Betroffenen tatsächlich gezeugt habe, schon im Jahre 2009 geheiratet habe. In allen Fällen sei dabei auf die Kenntnis der Kindesmutter und nicht auf jene des erst im Jahr 2017 für das betroffene Kind bestellten Ergänzungspflegers abzustellen. Somit sei der Betroffene auf die ihm mit Volljährigkeit erneut zustehende Anfechtungsmöglichkeit nach § 1600b Abs. 3 BGB zu verweisen.
II. Die hiergegen beabsichtigte Beschwerde des betroffenen Kindes hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. ...
2. Das Familiengericht hat jedoch auch in der Sache zutreffend entschieden.
a) Die Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 BGB war vorliegend versäumt, weil die Kindesmutter bereits mit der Geburt des betroffenen Kindes unstreitig Kenntnis von ihrem während der Empfängniszeit durchgeführten Mehrverkehr hatte.
Jedenfalls seit der im Jahr 2004 erfolgten Scheidung war die allein sorgeberechtigte Kindesmutter in der Lage, die Vaterschaftsanfechtung auch als gesetzliche Vertreterin des Betroffenen gerichtlich durchzuführen. Denn im Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft ist die allein sorgeberechtigte und mit dem rechtlichen Vater nicht (mehr) verheiratete Mutter von der gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Kindes nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen (vgl. BGH FamRZ 2017, 123 und BGH FamRZ 2012, 859). Folglich kommt es entgegen der Ansicht des Ergänzungspflegers trotz dessen Bestellung im vorliegenden Verfahren nicht auf dessen Kenntnis vom Mehrverkehr an; vielmehr ist für den Beginn der das minderjährige Kind betreffenden Frist zur Anfechtung der Vaterschaft in diesem Fall ausschließlich auf die Kenntnis der Mutter als alleiniger gesetzlicher Vertreterin abzustellen (vgl. BGH FamRZ 2017, 123).
Dem widerspricht auch nicht der im Verfahrenskostenhilfeantrag für die Beschwerde zitierte Senatsbeschluss vom 04.02.2015 (Az. 13 WF 56/15). Denn dort war die Kindesmutter mit dem rechtlichen Vater, dessen Vaterschaft beseitigt werden sollte, verheiratet und konnte deshalb das Kind nicht vertreten (vgl. FamRZ 2015, 1122 sowie Anm. Siede zu BGH FamRZ 2017, 123, dort S. 125).
b) Die Vorschrift des § 1600b Abs. 6 BGB eröffnet vorliegend keinen neuen Lauf der Anfechtungsfrist aus Unzumutbarkeitsgesichtspunkten. Jedenfalls aber wäre eine danach neue Zwei-Jahres-Frist im Jahr 2017 bereits ebenfalls abgelaufen. Insoweit kommt es aus den vorgenannten Gründen hier ebenfalls wiederum auf die Kenntnis der Kindesmutter und nicht auf jene des Ergänzungspflegers an.
aa) Nach früherem Recht konnte das Kind nach §§ 1596 Abs. 1, 1600i Abs. 5 BGB a.F. unbefristet anfechten, wenn die Anfechtung wegen einer schweren Verfehlung des Mannes gegen das Kind, wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels oder einer schweren Erbkrankheit des Mannes sittlich gerechtfertigt war. Das seit 1998 geltende Recht verzichtet im Hinblick auf die Unmöglichkeit, alle denkbaren Fallgestaltungen abschließend zu erfassen, auf eine Fixierung von bestimmten Unzumutbarkeitsgründen. Das frühere Recht kann gleichwohl zur Ausfüllung der Generalklausel herangezogen werden. So kann sich die Unzumutbarkeit ggfls. aus dem Tod des Scheinvaters, der Auflösung der Ehe oder nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Eltern, der Eheschließung der Mutter mit dem leiblichen Vater des Kindes, ehrlosem und unsittlichem Lebenswandel des Scheinvaters, schweren Verfehlungen (z.B. Straftaten) des Scheinvaters, insbesondere gegenüber dem Kind, oder u.U. auch schweren Erb- oder Geisteskrankheiten des Scheinvaters ergeben. Insgesamt ist der Begriff der Unzumutbarkeit als Ausnahmerege...