Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Feststellungen bei Geschwindigkeitsüberschreitung und an die Feststellung des Vorsatzes
Leitsatz (amtlich)
› 1. Räumt der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung ein, muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung des Urteils auf mögliche Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung zu ermöglichen, in den Urteilsgründen das angewandte Messverfahren, den Toleranzwert und die nach Abzug des Toleranzwertes ermittelte Fahrgeschwindigkeit mitteilen.
2. Gem. § 367 Abs. 3 S. 1 StPO (§ 46 Abs. 1 OWiG) kann in den Urteilsgründen (lediglich) auf Abbildungen, das heißt auf Augenscheinsobjekte, die sich bei den Akten befinden, wegen der Einzelheiten verwiesen werden. Die Verweisung auf bei den Akten befindliche Schriftstücke wird hiervon nicht erfasst.
3. Geht der Tatrichter von bedingtem Vorsatz aus, müssen beide Vorsatzkomponenten, das heißt sowohl das Wissens- als auch das Wollenselement, geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.‹
Verfahrensgang
AG Mainz (Entscheidung vom 08.02.2002) |
Gründe
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat zumindest vorläufigen Erfolg. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat dazu wie folgt Stellung genommen:
1. Räumt der Betroffene - wie hier - die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht ein, muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung des Urteils auf mögliche Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung zu ermöglichen, in den Urteilsgründen das angewandte Messverfahren, den Toleranzwert und die nach Abzug des Toleranzwertes ermittelte Fahrgeschwindigkeit mitteilen (BGHSt 39, 291 [292, 294 f.]; Senat, Beschluss vom 24. Juli 2001 - 1 Ss 203/01 -; Beschluss vom 9. Dezember 2003 - 1 Ss 289/03 -). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. In den Urteilsgründen wird lediglich die nach Abzug eines Toleranzwertes von 5 km/h festgestellte gefahrene Geschwindigkeit, nicht jedoch das vorliegend angewandte Messverfahren, angegeben. Es ist daher nicht erkennbar, ob es sich bei dem hier angewendeten Verfahren um eine generell anerkanntes und standardisiertes Messverfahren handelt (s. dazu BGH, NZS 1998, 120 [122]; Senat, Beschluss vom 12. August 2005 - 1 Ss 141/05 -), sodass weitere Ausführungen zu dem Messvorgang und dem ordnungsgemäßen Zustandekommen des Messergebnisses grundsätzlich nicht erforderlich wären (BGHSt 39, 291 [301]; Senat, Beschluss vom 28. Oktober 1997 - 1 Ss 224/97 -), oder ob es hierzu weiterer Feststellungen bedurft hätte. Der Hinweis in den Urteilsgründen auf das bei den Akten befindliche Messprotokoll (Bl. 14 ff. d. A.) genügt dazu nicht, da dessen Inhalt nicht wiedergegeben wird. Dessen Inhalt ist auch nicht durch eine zulässige Bezugnahme Bestandteil der Urteilsgründe geworden. Die Bezugnahme auf Akteninhalte ist unzulässig, sofern nicht das Gesetz wie in § 267 Abs.1 Satz 3 StPO oder § 267 Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 StPO diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht (Engelhardt in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 267 Rdnr. 3 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier indes nicht gegeben. Gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (§ 46 Abs. 1 OWiG) kann in den Urteilsgründen (lediglich) auf Abbildungen, das heißt auf Augenscheinsobjekte (Engelhardt, a.a.O., Rdnr. 6 m.w.N.), die sich bei den Akten befinden, wegen der Einzelheiten verwiesen werden. Die Verweisung auf bei den Akten befindliche Schriftstücke wird hiervon nicht erfasst. Die Urteilsfeststellungen erweisen sich daher als unzureichend.
2. Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite sind ebenfalls lückenhaft. Das Urteil enthält lediglich Angaben zum voluntativen Vorsatzelement, nicht jedoch zur kognitiven Vorsatzkomponente. Das ist rechtsfehlerhaft (BGHSt 36, 1 [10]; BGH, NStZ 2003, 603 [603 f.] [jew. m.w.N.]). Geht der Tatrichter - wie hier - von bedingtem Vorsatz aus, müssen beide Vorsatzkomponenten, das heißt sowohl das Wissens- als auch das Wollenselement, geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1 [10] m.w.N.). Das ist hier indes nicht geschehen."
Diese Ausführungen sind zutreffend (vgl. Senatsbeschlüsse 1 Ss 203/01 vom 24.07.2001, 1 Ss 289/03 vom 09.12.2003 und 1 Ss 141/05 vom 12.08.2005). Der Senat schließt sich den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in vollem Umfang an.
Fundstellen
Haufe-Index 2580234 |
NZV 2007, 255 |