Leitsatz (amtlich)
1. Im Gegensatz zu § 56 Abs. 1 StGB stellt die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffende Prognoseentscheidung nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung - weiteren - Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Haftentlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Dieser unterschiedliche Maßstab beruht darauf, dass der Verurteilte die gegen ihn verhängt Strafe bereits teilweise als Freiheitsentzug erlitten hat und im Strafvollzug resozialisierend auf ihn eingewirkt worden ist.
2. Eine Reststrafaussetzung kommt somit nicht in Betracht, wenn die angestrebte Resozialisierung entweder fehlgeschlagen oder noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass der Grad des derzeit noch vorhandenen und nie völlig auszuschließenden Rückfallrisikos im Hinblick auf die bei einem Rückfall drohende Rechtsgutsverletzung hinnehmbar erscheint.
3. Verbüßt ein nicht vorbestrafter Verurteilter erstmals eine Freiheitsstrafe und gibt seine Führung während des Vollzugs keinen Anlass zu der Annahme, die Resozialisierung sei misslungen, muss die Feststellung, die Strafe habe ihre spezialpräventiven Wirkungen noch nicht ausreichend entfaltet, weshalb es unverantwortbar sei, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, auf eine aussagekräftige Tatsachengrundlage gestützt werden.
4. Für die Annahme besonderer Umstände nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt es nicht darauf an, ob diese Ausnahmecharakter haben. Maßgebend ist vielmehr, eine einzelfallbezogene, auf Sinn und Zweck des § 57 Abs. 2 StGB abstellende Gesamtschau der die Tat, die Persönlichkeit und die Entwicklung im Vollzug bestimmenden Faktoren, wobei in diese Gesamtwürdigung auch die Schuldschwere der abgeurteilten Tat einfließt.
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Entscheidung vom 19.07.2010) |
Tenor
Der Antrag des Verurteilten, die Vollstreckung des Restes der durch Urteil des Senats vom 19. Juli 2010 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung auszusetzen, wird abgelehnt.
Gründe
I. Durch Urteil des Senats vom 19. Juli 2010 wurde der Antragsteller wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Urteil ist seit dem 20. Mai 2011 rechtskräftig.
Nach den Urteilsfeststellungen überbrachte der Verurteilte dem in Deutschland lebenden al-Qaida-Mitglied N.
- vor dessen Pakistanreise ab dem 13. April 2006 mindestens zwölf neue Entfernungsmessgeräte der Marke Bushnell, drei Frequenzmessgeräte, mindestens zwei Metalldetektoren, ein Richtmikrofon und zwei Wanzendetektoren und
- vor dessen Pakistanreise ab dem 15. Juli 2006 mindestens 300 € und fünf Entfernungsmessgeräte
zur Übergabe an al-Qaida-Verantwortliche im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Darüber hinaus übergab er ihm zu demselben Zweck vor einer der beiden vorgenannten Reisen oder vor einem anderen Pakistanaufenthalt des N. (im November 2005 oder über die Jahreswende 2006/2007) folgende Ausrüstungsgegenstände:
- mindestens fünf weitere Entfernungsmessgeräte und drei Nachtsichtgeräte, davon eines aus sowjetischen Armeebeständen.
N. übergab das von dem Verurteilten beschaffte Geld und die vorgenannten Gegenstände verabredungsgemäß an al-Qaida-Verantwortliche im pakistanisch-afghani-schen Grenzgebiet (Urteil S. 93 - 95). Die Ausrüstungsgegenstände waren für den Einsatz im militärischen Kampf bestimmt (Urteil S. 294). Als Einzelstrafe für die zeitlich erste Tat verhängte der Senat Freiheitsstrafe von zwei Jahren und für die zweite Tat Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten (Urteil S. 294). Die keiner Reise des N. eindeutig zuzuordnenden Gegenstände fanden bei der Bemessung der Gesamtstrafe Berücksichtigung (Urteil S. 294 f.).
Der Verurteilte befand sich seit seiner Festnahme am 6. Februar 2009 aufgrund Haftbefehls bis zum Tag der Urteilsverkündung in Untersuchungshaft, durch deren Anrechnung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB mithin 17 Monate und 2 Wochen der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als verbüßt gelten. Da die Halbstrafe 15 Monate beträgt, ist der Halbstrafenzeitpunkt bereits überschritten. Der Zweidrittelzeitpunkt (Verbüßung von 20 Monaten Freiheitsstrafe) wird erst nach weiterer Verbüßung von rund zweieinhalb Monaten erreicht sein.
Nach Erhalt der Ladung zum Strafantritt hat der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 9. Juni 2011 beantragt, die Gesamtfreiheitsstrafe (gemeint ist deren noch nicht verbüßter Rest) zur Bewährung auszusetzen. Die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB erforderliche Einwilligung hat er erteilt. Zur Begründung seines Antrags hat er ausgeführt, es sei während der Untersuchungshaft zu keinerlei Beanstandungen gekommen. Auch habe er sich nach der Haftentlassung am 19. Juli 2010 - d.h. seit nunmehr einem Jahr - vorbildlich verhalten. Er habe sich nämlich trotz der sehr schwierigen Ausgangslage i...