Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Urteilsgründe bei Wiedererkennen des Angeklagten aufgrund einer Wahllichtbildvorlage. Absehen von einer Verweisung auf die in der Akte enthaltenen Lichtbilder. Nicht widerspruchsfreie Zeugenaussage hinsichtlich des Wiedererkennens
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Hauptbelastungszeuge den Angeklagten weder in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht noch in der Berufungshauptverhandlung als die Person wiedererkannt, die die jeweils von ihm zu einem bestimmten Ort geschafften Drogenpakete dort an sich genommen hatte, den Angeklagten allerdings anlässlich einer bei seiner polizeilichen Vernehmung erfolgten Lichtbildvorlage "spontan" als Abnehmer erkannt, bedarf es angesichts der entscheidungserheblichen Bedeutung der Lichtbildvorlage einer besonders sorgfältigen Darstellung und kritischen Beweiswürdigung.
2. a) Die Urteilsgründe haben sich dazu zu verhalten, ob dem Erfordernis ausreichend Rechnung getragen wurde, dem Zeugen nicht nur Bilder des Tatverdächtigen vorzulegen, sondern zugleich auch Fotos einer Reihe anderer Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung, und zwar in einer Form, die nicht erkennen ließ, wer von den abgebildeten Personen der Beschuldigte war.
b) Hat die Strafkammer auch von einer deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebrachten Bezugnahme auf die Bilder gemäß §§ 2 Abs. 2 JGG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen, kann das Revisionsgericht die Abbildungen als Bestandteile der Urteilsgründe selbst aus eigener Anschauung nicht würdigen oder auf ihre Verwertbarkeit hin überprüfen. Sieht der Tatrichter nämlich von der Verweisung ab, genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch wenn er einzelne Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem die Fotos dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung stehen, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob die Bilder den an eine Wahllichtbildvorlage zu stellenden Anforderungen entsprechen.
3. a) Die Zuverlässigkeit der seinerzeitigen Wiedererkennungsleistung des Zeugen, der in Anbetracht des Nichtwiedererkennens des Angeklagten in der Hauptverhandlung besonderes Gewicht zukommt, ist aber auch deswegen nicht nachprüfbar, weil die Strafkammer die von dem Zeugen vor der Wahllichtbildvorlage abgegebene Täterbeschreibung bzw. seine Angaben, ob und anhand welcher Umstände ihm ein Wiedererkennen überhaupt möglich war, sowie die einzelnen Merkmale, anhand derer er den Angeklagten alsdann auch tatsächlich "spontan wiedererkannt" hatte, nicht mitgeteilt hat.
b) Auch wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung erklärt, bei der abgebildeten Personen handele es sich "1000 %ig" um den damaligen Abnehmer, ist eine solche Aussage nicht widerspruchsfrei, wenn der Zeuge diese Aussage alsdann selbst wieder einschränkt, indem er angibt, den Abnehmer kleiner und schmaler in Erinnerung zu haben, wobei er sich aber täuschen könne, da er immer im Auto sitzen geblieben sei und dem Abnehmer nie gegenüber gestanden habe.
c) Hierzu hätte es nachprüfbarer Angaben dazu bedurft, aufgrund welcher konkreten Abweichungen zwischen den vorgelegten Lichtbildern des Angeklagten und seinem späteren Erscheinungsbild in der Hauptverhandlung dem Zeugen ein Wiedererkennen jetzt nicht mehr möglich war.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Entscheidung vom 14.09.2009) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 2. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Koblenz vom 14. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen schuldig gesprochen worden ist, sowie im Rechtsfolgenausspruch.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.
Gründe
I. Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Bad Neuenahr-Ahrweiler verurteilte den Angeklagten am 30. März 2009 wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 14 Fällen unter Einbeziehung des Urteils desselben Gerichts vom 11. April 2008 (2090 Js 61140/06 jug. - 2 Ns - StA Koblenz) zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren. Von dem weitergehenden Anklagevorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen sprach es ihn aus tatsächlichen Gründen frei. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des erfolgten Teilfreispruchs Berufung ein.
Am 14. September 2009 hat die 2. große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Koblenz das Urteil des Amtsgerichts hinsichtlich des Freispruchs sowie im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen und wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 14 Fällen unter Einbeziehung de...