Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuerlichen in der Bewährungszeit begangenen Straftat nach Ablauf der Bewährungszeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Widerruf kann zwar bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB auch noch ergehen, wenn die Bewährungszeit vor Erlass der Entscheidung abgelaufen war.
b) Allerdings ist über den Widerruf innerhalb angemessener Zeit zu entscheiden. Denn das Gebot der Verfahrensbeschleunigung gilt auch für Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren. Der Verurteilte darf daher über die Widerrufsfrage nicht zu lange im Ungewissen gelassen werden.
2. Ein Widerruf wegen einer neuerlichen, in der Bewährungszeit begangenen Straftat nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist auch schon vor einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der neuen Tat möglich, wenn Täterschaft und Schuld aufgrund eines glaubhaften Geständnisses, also in einer jede vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise, feststehen.
Verfahrensgang
LG Mainz (Entscheidung vom 09.01.2009; Aktenzeichen 8 StVK 1125/08) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 8. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Mainz vom 9. Januar 2009 aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I. Durch Urteil des Amtsgerichts Neuwied vom 17. August 2006 - rechtskräftig seit diesem Tag - wurde der Verurteilte wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und einer Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten und 2 Wochen verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, die Dauer der Bewährungszeit auf 2 Jahre festgesetzt.
Mit Datum vom 27. Dezember 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Koblenz Anklage u.a. gegen den Verurteilten vor dem Jugendschöffengericht Neuwied wegen räuberischer Erpressung in besonders schwerem Fall. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ist ausgeführt, dass der Verurteilte geständig sei. Auch in den Gründen des am 3 . März 2008 - rechtskräftig seit dem 11. August 2008 - ergangenen Urteils ist ausgeführt, dass der Verurteilte den - verfahrensgegenständlichen - Überfall auf die ...-Tankstelle in D... eingeräumt habe.
Am 11. November 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft Koblenz in der Stellungnahme zur Frage des Erlasses der verhängten Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit im Hinblick auf das Urteil vom 3. März 2008 den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.
Nach Anhörung des Verurteilten wurde die Strafaussetzung zur Bewährung durch die aufgrund der zwischenzeitlichen Inhaftierung des Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt ... zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mainz durch Beschluss vom 9. Januar 2009 widerrufen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde (§§ 454 Abs. 3 S.1, 311 Abs. 2 StPO) hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist nicht mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 16. März 2009 folgendes ausgeführt:
"Der Widerruf kann zwar bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB auch noch ergehen, wenn - wie hier - die Bewährungszeit vor Erlass der Entscheidung abgelaufen war.
Allerdings ist über den Widerruf innerhalb angemessener Zeit zu entscheiden. Denn das Gebot der Verfahrensbeschleunigung gilt auch für Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren. Der Verurteilte darf daher über die Widerrufsfrage nicht zu lange im Ungewissen gelassen werden (OLG Koblenz, 1 Ws 379/06 vom 21. Juni 2006 m.w.N.).
Ein Widerruf wegen einer neuerlichen, in der Bewährungszeit begangenen Straftat nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB ist auch schon vor einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der neuen Tat möglich, wenn Täterschaft und Schuld aufgrund eines glaubhaften Geständnisses, also in einer jede vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise, feststehen (BVerfG, NStZ 2005, 204; OLG Koblenz, 1 Ws 734/03 vom 23. Oktober 2003).
Vorliegend war dem - vor Beginn der Strafhaft für die Widerrufsfrage zuständigen - Strafrichter des Amtsgerichts Neuwied bereits mit der am 3. Januar 2008 eingegangenen Mitteilung der Anklageschrift gemäß Nr. 13 MiStra (Bl. 8a BewH) bekannt geworden, dass der Verurteilte seine Beteiligung an dem Raubüberfall vom 16. Dezember 2007 bei seiner Vorführung vor den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Koblenz gestanden hatte (S. 3 der Anklageschrift - Bl. 8e BewH). Dennoch wurde zunächst - bis zum 13. März 2008 - das Bewährungsheft lediglich als Beiakte zum neuen Vorgang genommen (Vermerk Bl. 8 R. BewH).
Mit Übersendung des (noch nicht rechtskräftigen) Urteils des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Neuwied vom 3. März 2008 (Bl. 9 BewH) wurde dem Strafrichter bekannt, dass der Verurteilte auch in der Hauptverhandlung - d.h. Gegenwart seiner Verteidi...