Leitsatz (amtlich)

Eine wirksame Insolvenzanfechtung liegt vor, wenn die Gemeinschuldnerin unter Androhung der Stellung eines Insolvenzantrages 2 Wochen vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Vermeidung eines derartigen Verfahrens Sozialversicherungsbeiträge an eine Krankenkasse leistet (inkongruente Deckung), die zum Teil als Einzugstelle für weitere Sozialversicherungsträger fungiert. Dem stehen weder die Richtlinien 80/987/EWG und 2002/74/EG noch die Rechtsprechung des EuGH vom 15.05.2003 (ZIP 2003, 1000 = ZInsO 2003, 514) entgegen, die dem Schutz der Arbeitnehmer in der Situation der Insolvenz des Arbeitsgebers dienen sollen (vgl. auch EuGH, NJW 1997, 2585 ff.; Peters-Lange, ZIP 2003, 1877 ff.; vgl. auch OLG Koblenz – 2 U 690/04 – vom 27.1.2005).

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Aktenzeichen 3 O 225/04)

 

Tenor

Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Gründe werden nachfolgend dargestellt. Der Beklagten wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 30. Juni 2005.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt die Erstattung von im März 2003 gezahlter Sozialversicherungsbeiträge von der Beklagten wegen Insolvenzanfechtung.

Die Firma H. Haushaltsprodukte GmbH in M. zahlte trotz Fälligkeit die Sozialversicherungsbeiträge für die Monate November Dezember 2002 und Januar 2003 an die Beklagte als sog. Einzugsstelle nicht. Der Vollziehungsbeamte der Beklagten versuchte mehrfach vergeblich die Rückstände einzuziehen. Mit Schreiben vom 25.02.2003 kündigte die Beklagte gegenüber der H. GmbH an, in nächsten Tagen einen Insolvenzantrag zu stellen. Falls das Beitragskonto kurzfristig ausgeglichen werden sollte, könne der Antrag zurückgenommen werden. Mit Begleitschreiben vom 11.3.2003 übersandte die H. GmbH der Beklagten einen auf den gleichen Tag datierten Verrechnungsscheck über die rückständige Summe von insgesamt 50.525,40 EUR. Der Scheckbetrag wurde gutgeschrieben. Am 26.03.2003 beantragte die H. GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welches mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 29.05.2003 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt wurde. Der Kläger erklärte gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 24.09.2003 die Insolvenzanfechtung und forderte erfolglos die Rückzahlung der Beträge bis zum 10.10.2003.

Der Kläger hat vorgetragen,

aufgrund der Zahlung gerade einmal 2 Wochen vor Insolvenzantragstellung unterliege diese der Anfechtung gem. § 131 Abs. 1 Ziffer 1 InsO. Jegliche Befriedigung innerhalb dieser „kritischen Zeit” im Wege der Zwangsvollstreckung oder unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung sowie der vergleichbaren Insolvenzantragstellung bzw. -Eröffnung sei als inkongruente anzusehen. Auf die Entscheidung des BGH vom 18.12.2003 (ZIP 2004, 319 ff.) werde verwiesen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 50.525,40 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH vom 15.05.2003 (ZInsO 2003, 514 ff. = ZIP 2003, 1000 ff. = NJW 2003, 2371 ff.) sei im Hinblick auf die Richtlinien 80/987/EWG und 2002/74/EG sicher zu stellen, dass die Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an rückwirkend 3 Monate für Lohnansprüche abgesichert sein müssen. Dies stelle den absoluten Schutz der Arbeitnehmer in den Vordergrund und damit auch der Sozialversicherungsträger. Letztendlich würden den Arbeitnehmern Schäden entstehen, da sie das Sozialversicherungssystem mitfinanzierten, wenn die Sozialversicherungsträger die gezahlten Beiträge zurückerstatten müssten. Dem System werde dadurch das notwendige Geld entzogen. Im Übrigen sei zumindest der Arbeitnehmeranteil an den gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen der Beklagten zu belassen, da es sich dabei um Lohnbestandteile an den Arbeitnehmer handele und entsprechend aus seinem Vermögen und nicht aus dem des Arbeitgebers gezahlt werde. Des weiteren sei vorliegend von einem sogenannten Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO auszugehen, welches nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 133 Abs. I InsO anfechtbar sei. Diese lägen nicht vor. Zudem sei zweifelhaft, ob die Beklagte überhaupt passivlegitimiert sei, da sie anteilige Beiträge an die weiteren Sozialversicherungsträger als Einzugstelle abzuführen habe, was schließlich auch geschehen sei.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß auf Zahlung von 50.525,40 EUR nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

II.

 

Entscheidungsgründe

Die...

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