Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen der EGMR-Entscheidung zur Sicherungsverwahrung ["Altfälle"]

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 - 19359/04 - zwingt nicht zur Entlassung von Sicherungsverwahrten in sog. "Altfällen" nach Ablauf der Zehnjahresfrist.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 26.02.2010; Aktenzeichen 7 StVK 184/09)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 19.05.2010; Aktenzeichen 2 BvR 769/10)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez vom 26. Februar 2010 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage. Mit Blick auf die Ausführungen des Verteidigers in der Rechtsmittelbegründung ist anzumerken:

1. Die Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009, die in der nachträglichen Umwandlung der Sicherungsverwahrung in eine zeitlich nicht befristete Maßregel einen Verstoß gegen die EMRK sieht, ist noch nicht endgültig im Sinne des Art. 44 EMRK, weil die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 43 EMRK die Verweisung der Sache an eine Große Kammer beantragt hat.

Im Übrigen kommt Entscheidungen des EGMR keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung zu. Zwar sind die Vorschriften des EMRK auch innerstaatliches Recht; sie haben jedoch gegenüber dem sonstigen nationalen Recht keinen Geltungs- oder Anwendungsvorrang. Der EMRK widersprechendes nationales Recht bleibt gültig und damit für die nationalen Gerichte verbindlich, bis der Gesetzgeber auf Grund einer Entscheidung des EGMR eine andere Regelung trifft, um diesem Spruch völkerrechtlich Rechnung zu tragen.

Derzeit gilt für deutsche Gerichte die verbindliche Feststellung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.02.2004 (2 BvR 2029/01), dass der Wegfall der Höchstfrist für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung und die Anwendbarkeit auf Straftäter, bei denen die Sicherungsverwahrung vor Verkündung und Inkrafttreten der Novelle angeordnet und noch nicht erledigt war, mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist.

2. Das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Mai 1996 ist rechtskräftig; alle Bemühungen des Verteidigers, vermeintliche Fehler in den schriftlichen Urteilsgründen aufzuzeigen, sind im jetzigen Verfahrensstadium irrelevant.

3. Die Weigerung des Beschwerdeführers, sich einer Exploration durch den Sachverständigen zu stellen, hatte zwangläufig zur Folge, dass sich das Prognosegutachten auf andere Erkenntnisquellen stützen musste. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass es entgegen der Auffassung des Verteidigers nicht "untunlich" war, auch darauf einzugehen, dass der Beschwerdeführer bereits wegen Mordes (und zahlreichen anderen Straftaten) vorbestraft war, als er die Taten beging, die dann zur Anordnung der Sicherungsverwahrung führten. Alle seine Straftaten sind Bestandteile seiner Biographie und werfen ein bezeichnendes Licht auf seinen Charakter.

4. Die Strafvollstreckungskammer war nicht gehalten, sich mit allen Details im Verteidigerschriftsatz vom 24. Februar 2010 auseinanderzusetzen. Die Einwände des Verteidigers gegen die auch schon von anderen Sachverständigen gestellte Diagnose "Psychopathy" (dissoziale Persönlichkeit) im Gutachten des Sachverständigen G... vom 10. November 2009 blieben unverständlich, wenn man die Ausführungen des Sachverständigen sorgfältig liest.

5. Die Feststellung des Sachverständigen und der Strafvollstreckungskammer, der Beschwerdeführer sei immer noch dieselbe, schwer gestörte dissoziale Persönlichkeit, die sich in der Vergangenheit in schweren Straftaten ausgedrückt und ausgelebt habe, ist nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer war und ist gefühllos, gewissenlos, rücksichtslos und egozentrisch. Es folgt seinen Bedürfnissen und Impulsen, ohne über die Folgen für andere, aber auch für ihn, in irgendeiner Weise nachzudenken. Deshalb ist er immer noch genauso gefährlich wie vor Beginn der jetzigen Freiheitsentziehung.

Kosten: § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO

 

Fundstellen

Haufe-Index 2580523

JR 2010, 306

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