Leitsatz (amtlich)
1. Wird der Auftraggeber durch die Frage eines Bieters darauf aufmerksam gemacht, dass ihm Fehler unterlaufen waren, die zumindest in der Summe geeignet sind, bei einem Bieter ohne juristische Kenntnisse einen Irrtum über eine wesentliche Förmlichkeit des Vergabeverfahrens zu erwecken, darf er sich nicht damit begnügen, den fragenden Bieter aufzuklären. Er ist vielmehr verpflichtet, in Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 97 Abs. 2 GWB) alle Unternehmen, die die Vergabeunterlagen angefordert hatten, unverzüglich - auch telefonisch - über seinen Fehler zu informieren und so einem möglichen Irrtum entgegenzuwirken.
2. Der Auftraggeber kann ein Vergabeverfahren auch dann aufheben und ein neues Verfahren einleiten, wenn zwar kein von § 17 EG Abs. 1 VOL/A gedeckter "sanktionsfreier", aber ein anderer sachlicher Grund für diese Maßnahme vorhanden ist.
3. Ein sachlicher Grund für eine Aufhebung kann auch ein eigener Fehler des Auftraggebers sein.
4. Liegt ein sachlicher Grund für eine Aufhebung vor, darf der Auftraggeberin auch den milderen Weg der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens wählen, wenn dies zur Fehlerkorrektur ausreicht.
Verfahrensgang
Vergabekammer Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 31.01.2013; Aktenzeichen VK 1 - 33/13) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 31.1.2013 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdegegnerin.
3. Der Beschwerdewert wird auf 84.947 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Im September 2013 schrieb die Auftraggeberin, vertreten durch den Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung als Vergabestelle, eine Teilleistung eines größeren Bauvorhabens unionsweit im offenen Verfahren aus. Sowohl in der Bekanntmachung als auch in den den potentiellen Bietern übersandten Vergabeunterlagen ist als Eröffnungstermin (§ 14 Abs. 1 EG VOB/A) der "13.11.2013, 11.00 Uhr" bezeichnet. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Das Vergabeverfahren wird, was den Interessenten bekannt war, bei der Vergabestelle unter der Vergabenummer 13E0493 geführt.
In der Folgezeit gab die Vergabestelle mit Schreiben an alle Interessenten vom 24.10., 5.11. (2 Schreiben) und 11.11.2013 ergänzende Informationen zum Leistungsumfang. Infolge eines Tippfehlers, der als Textbaustein Eingang in alle Schreiben fand, heißt es jeweils in der Betreffzeile in Fettdruck:
Vergabenummer: 13E0493; Eröffnungstermin 13.11.13, 14.00 Uhr
Ein Mitarbeiter der Beschwerdeführerin erkannte die von den ursprünglichen Vorgaben abweichende Uhrzeit, machte den Sachbearbeiter bei der Vergabestelle vor dem bekannt gemachten Eröffnungstermin telefonisch auf den Widerspruch aufmerksam und erhielt auf Nachfrage die Antwort, bei den Uhrzeitangaben in den Informationsschreiben habe es sich um ein Versehen gehandelt; die ursprünglich angegebene Uhrzeit sei verbindlich.
Bei Öffnung des ersten Angebots am 13.11.2013 um 11.00 Uhr lagen dem Verhandlungsleiter sechs Angebote vor. Nach der Submissionsniederschrift belegt die Beschwerdeführerin mit ihrem Angebotspreis von knapp 1,7 Mio. EUR den ersten Rang.
Die Beigeladene gab ihr Angebot am selben Tag erst um 13:40 Uhr ab. Nachdem sie von der Vergabestelle telefonisch über den Sachverhalt unterrichtet worden war, teilte sie mit Schreiben vom 15.11.2013 mit, sie sei durch die falsche Uhrzeitangabe in den Informationsschreiben in die Irre geführt worden. Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, diese Aussage entspreche nicht der Wahrheit.
Mit Schreiben vom 21.11.2013 teilte die Auftraggeberin allen Bietern mit, sie habe das Vergabeverfahren wegen der falschen Datumsangaben in den Informationsschreiben in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückversetzt; neuer Eröffnungstermin sei der 5.12.2013.
Nach erfolgloser Rüge stellte die Beschwerdeführerin am 3.12.2013 einen Nachprüfungsantrag, den die Vergabekammer mit Beschluss vom 31.1.2014 zurückwies.
2. Das gegen den Beschluss der Vergabekammer gerichtete Rechtsmittel der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.
a) Die Auftraggeberin hat zu Recht das am 13.11.2013 um 13.40 Uhr eingegangene Angebot der Beigeladenen nicht gewertet. Eine Verschiebung des Eröffnungstermins war von der Auftraggeberin nicht gewollt; auch konnten die vier Informationsschreiben von einem verständigen Empfänger nicht als eine dahingehende (rechtsgeschäftsähnliche) Erklärung angesehen werden. Da auch kein Fall des § 14 Abs. 6 EG VOB/A vorliegt - die Angebotsfrist endete gem. § 10 Abs. 7 EG VOB/A kurz nach 11:00 Uhr -und damit lange vor Zugang -, wäre eine Berücksichtigung des Angebots der Beigeladenen vergaberechtswidrig gewesen.
b) Allerdings war die Auftraggeberin berechtigt, einen von ihr begangenen Vergaberechtsverstoß durch Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe zu beheben. Der Anruf des Mitarbeiters der Beschwerdeführerin bei der Vergabestelle (der von der Auftraggeberin ...