Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Gefährdungshaftung des Nutzungsberechtigten bei Stromunfall auf befriedetem Grundstück; zu den Voraussetzungen und zur Reichweite des Drittschutzes der Bestellung eines Nutzungsrechts und von Absprachen über Elektroinstallationsarbeiten in Nachbarschaftshilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Inhaber einer Anlage i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 HpflG ist, wer die schadenstiftende Einrichtung für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt. Das kann auch ein dinglich Nutzungsberechtigter sein (hier: Wohnrecht).

2. Für den Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 3 Nr. 1 erste Alternative HpflG reicht es nicht aus, dass der Schaden auf eine im Inneren des Gebäudes befindliche Anlage zurückzuführen ist. Hingegen ist ein Haftungsausschluss nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 zweite Alternative HpflG nicht erst dann gegeben, wenn der Schaden innerhalb eines eingefriedeten Grundstücks entsteht. Das Merkmal "befriedet" erfordet keine völlige Abschließung. Daher kann auch eine private Hoffläche, die vom öffentlichen Verkehrsraum aus von jedermann betreten werden kann, befriedet sein.

3. Die Gefährdungshaftung für einen Stromschlag ist nicht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 HpflG ausgeschlossen ist, wenn ein Energieverbrauchgerät (hier: Außenlampe eines Hauses) von außen bestimmungswidrig unter Strom geraten ist und diesen Strom lediglich weitergeleitet hat (hier: nach Überbrückung von Phase und Schutzleiter des Stromkabels zur Lampe).

4. Zum Drittschutz des Vertrages zwischen dem Grundstückseigentümer und dem dinglich Nutzungsberechtigten einerseits und den Absprachen des Nutzungsberechtigten mit einem Nachbarschaftshelfer andererseits sowie zur Frage, ob eine Änderung der DIN- oder VDE- Vorschriften den Nutzungsberechtigten verpflichtet, die Elektroinstallation den neuen Vorschriften anzupassen.

 

Normenkette

HPflG § 2; BGB §§ 241-242, 276, 278, 280, 328, 618-619, 823, 831, 836, 1018, 1030, 1041

 

Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 14.07.2015; Aktenzeichen VI ZR 214/14)

LG Koblenz (Urteil vom 11.07.2013; Aktenzeichen 1 O 639/12)

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 11.7.2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern die Beklagte nicht entsprechende Sicherheit leistet.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.1. Der zum Unfallzeitpunkt 46 - jährige Kläger nimmt die Beklagte wegen der Folgen eines Stromschlags in Anspruch, dem er am 16.9.2009 ausgesetzt war, als er in Vorbereitung von Fassadenarbeiten auf einem Metallgerüst gegen das stromführende Gehäuse einer Außenlampe stieß, die neben der Eingangstür zum Erdgeschoss der Doppelhaushälfte Xgasse 6 in W. angebracht war.

Eigentümer des Hauses ist der Sohn der Beklagten. Der Beklagten, die in der anderen Doppelhaushälfte Xgasse 4 wohnt, steht an der Erdgeschosswohnung Xgasse 6 ein dingliches Nutzungsrecht zu. Sie hat die Wohnung an eine Familienangehörige, die Zeugin Yvonne R., vermietet.

Der Stromschlag führte zu einem hypoxischen Hirnschaden; der Kläger ist seither zu 100 % behindert und umfassend pflegebedürftig.

Verursacht wurde der Stromschlag durch einen im Inneren des Gebäudes in die Wand geschlagenen Metallnagel, der eine leitende Verbindung zwischen dem an das Lampengehäuse angeschlossenen Schutzleiter und dem stromführenden Leiter (Phase) herstellte. Ob der Nagel vor oder nach Montage der Außenlampe in die Wand geschlagen wurde, ist streitig. Montiert hatte die Lampe Anfang 2009 der Zeuge B., der wegen desselben Schadensereignisses in einem Parallelverfahren in Anspruch genommen wird (5 U 311/12 OLG Koblenz).

Die in erster Linie aus § 2 Abs. 1 Haftpflichtgesetz hergeleitete Verantwortlichkeit der Beklagten soll sich auch daraus ergeben, dass sie den nach dem Klagevorbringen fachlich nicht qualifizierten Zeugen B. vor dem Unfall des Klägers mehrmals mit Elektroinstallationsarbeiten betraute, insbesondere Anfang 2009 mit der Montage der schadenstiftenden Außenlampe, ohne die Elektoinstallation des Hauses insgesamt entsprechend den aktuellen Sicherheitserfordernissen durch ein Fachunternehmen ertüchtigen zu lassen.

Dazu hat der Kläger vorgetragen, nur geschulte Fachkräfte seien zu den von B. durchgeführten Arbeiten befugt, der zudem nicht über die für die Sicherheitsüberprüfungen erforderlichen Messgeräte verfügt habe. Insbesondere sei 2008 und Anfang 2009 versäumt worden, einen neuen FI - Schalter (Fehlerstromschutzschalter) zu montieren, der den Unfall sicher vermieden hätte.

Neben der Verurteilung der Beklagten zu materiellem und immateriellem Schadensersatz hat der Anspruchsteller die Feststellung der Ersatzpflicht für entsprechende Zukunftsschäden beantragt, soweit die Ansprüche auf materiellen Schadensersatz nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden. Außerdem soll die Beklagte die Kosten d...

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