Leitsatz (amtlich)

Nimmt ein Kind erst 26 Monate nach Erreichen der Hochschulreife das Studium mit dem Studienfach Sozialarbeit auf, verletzt es seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen, nicht, wenn es zunächst eine 4-monatige Ausbildung zur Erzieherin abbricht und dann 2 sozialarbeitsbezogene Praktika von 3 beziehungsweise von 19 Monaten absolviert.

 

Normenkette

BGB § 1610 Abs. 2; BAföG §§ 36-37

 

Verfahrensgang

AG Idar-Oberstein (Aktenzeichen 8 F 527/00)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AG – FamG – Idar-Oberstein vom 7.3.2001 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.023 DM zzgl. Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 3.3.2000 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Der Kläger begehrt von dem Beklagten aus übergegangenem Recht Unterhalt i.H.v. 8.023 DM.

Die am 26.7.1976 geborene Tochter des Beklagten, die Zeugin B. D., die die katholische Hochschule für Sozialarbeit in S. besucht, erhielt vom Kläger in der Zeit von Oktober 1999 bis September 2000 Leistungen nach dem BAföG i.H.v. 8.023 DM.

Die Tochter des Beklagten hatte ihre schulische Ausbildung im Juli 1997 mit dem Erreichen der Fachoberschulreife – Fachbereich Sozialwesen – abgeschlossen. Anschließend begann sie im September 1997 mit einer Ausbildung zur Erzieherin am Berufsbildungszentrum S. Diese Ausbildung brach sie jedoch im Dezember 1997 ab. Anschließend machte sie zwei Praktika (von Dezember 1997 bis Ende Februar 1998 bei der Aktion „Dritte Welt” in L. vom 23.3.1998 bis 1.10.1999 beim Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung in S.). Seit dem Wintersemester 1999/2000 studiert sie an der katholischen Hochschule für soziale Arbeit im Studienfach Sozialarbeit mit dem Studienziel Diplom.

Die Tochter des Beklagten ist bedürftig; der Beklagte leistungsfähig.

Der Beklagte erbringt seit März 1998 keine Unterhaltszahlungen für seine Tochter mehr.

Durch Urteil des AG Idar-Oberstein vom 7.3.2001 ist die Klage mit der Begründung abgewiesen worden, dass seine Tochter nachhaltig ihre Obliegenheit verletzt habe, ihre Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen. Sie habe deshalb ihren Ausbildungsunterhaltsanspruch eingebüßt und müsse sich nunmehr darauf verweisen lassen, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Unterhaltsanspruch nicht verwirkt sei. Die Tochter des Beklagten habe nach einer angemessenen Orientierungsphase das Studium aufgenommen. Das Studium entspräche ihren Neigungen und Fähigkeiten. Sie habe sich im Ergebnis zielstrebig auf die Ausbildung zubewegt.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung den Beklagten zu verurteilen, an ihn 8.023 DM zzgl. Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 3.5.2000 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des AG Idar-Oberstein für richtig. Er verweist auf den bisherigen Lebenslauf seiner Tochter. Er ist der Auffassung, dass er ihr weiteren Unterhalt nicht schulde.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Beklagte schuldet dem Kläger aus übergegangenem Recht für die Zeit von Oktober 1999 bis September 2000 8.023 DM nebst Zinsen, vgl. §§ 36, 37 BAföG, 1601 ff. BGB.

Der Beklagte schuldet seiner Tochter gem. § 1610 Abs. 2 BGB grundsätzlich die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf.

Angemessen ist eine Ausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des einzelnen Kindes am besten entspricht. Geschuldet wird die den Eltern wirtschaftlich zumutbare Finanzierung einer optimalen begabungsbezogenen Berufsausbildung ihres Kindes, die dessen Neigungen entspricht, ohne dass sämtliche Neigungen und Wünsche berücksichtigt werden müssen, insbesondere nicht solche, die sich nur als flüchtig oder vorübergehend erweisen oder mit den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes oder den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern nicht zu vereinbaren sind (vgl. Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 4. Aufl., § 2 Rz. 57 m.w.N.).

Dieser Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechenden Berufsausbildung ist allerdings vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners auf Ermöglichung einer Berufsausbildung steht auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Unterhaltsleistungen nach § 1610 Abs. 2 BGB sind zweckgebunden und werden nur insoweit geschuldet, als sie für eine angemessene Vorbildung zu einem Beruf erforderlich sind. Zwar muss der Verpflichtete nach Treu und Glauben Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehen...

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