Entscheidungsstichwort (Thema)
Grober Behandlungsfehler eines Zahnarztes auch bei Summierung einfacher Versäumnisse
Leitsatz (amtlich)
1. Extrahiert ein Zahnarzt einen Weisheitszahn, obwohl die Röntgenbefunde unzureichend sind, kann der darin liegende einfache Behandlungsfehler gleichwohl im Endergebnis zu einer Beweislastumkehr führen, wenn auch die Nachsorge derart mangelhaft war, dass das ärztliche Vorgehen insgesamt schlechterdings unverständlich erscheint. Dafür bedarf es einer wertenden Gesamtschau aller Maßnahmen des Arztes.
2. Die irreversible Schädigung des nervus alveolaris kann ein Schmerzensgeld von 6.000 EUR rechtfertigen.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 611, 823, 847; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 02.05.2007; Aktenzeichen 10 O 292/05) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 2.5.2007 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin beansprucht vom beklagten Zahnarzt ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 8.000 EUR nebst Zinsen, weil dieser sie vor der Extraktion eines Weisheitszahnes nicht ordnungsgemäß über den Eingriff aufgeklärt habe und weil es wegen eines Behandlungsfehlers zu einer irreversiblen Nervenschädigung im Lippenbereich gekommen sei.
Das LG, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), hat zur Aufklärung der Klägerin Zeugenbeweis erhoben und hat darüber hinaus ein schriftliches Gutachten des Dr. Dr. D. vom 28.9.2006 eingeholt. Dieses Gutachten hat der Sachverständige mit einem am 19.3.2007 bei Gericht eingegangenen Schreiben ergänzt. Den im Termin vom 21.3.2007 abgeschlossenen Vergleich hat der Beklagte widerrufen und hat unter Vorlage eines für die Berufshaftpflichtversicherung gefertigten Gutachtens insbesondere zum am 23.11.1998 gefertigten Röntgenbild (OPG) weiter vorgetragen. Das LG hat den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 6.000 EUR nebst Zinsen verurteilt. Es ist von einem groben Behandlungsfehler ausgegangen, weil das mangelhafte OPG vom 23.11.1998 keine ausreichende Grundlage für den chirurgischen Eingriff geboten habe mit der Folge einer Beweislastumkehr. Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass es auch bei Durchführung einer ordnungsgemäßen präoperativen Röntgendiagnostik zur Verletzung des Nervs gekommen wäre.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, der unzureichende Sachaufklärung rügt und vor allem darauf verweist, dass das ältere OPG in Verbindung mit der Aufnahme vom Operationstag eine zuverlässige Diagnostik ermöglicht habe. Auch sei das LG dem Antrag nicht nachgegangen, zum Kausalitätsgegenbeweis ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es habe sich auch nicht mit der Frage der bleibenden Nervschädigung auseinandergesetzt und bei der Bemessung des Schmerzengelds die Nachbehandlungen berücksichtigt. Dem ist die Klägerin entgegengetreten.
Der Senat hat den Sachverständigen Dr. Dr. D. im Termin vom 15.11.2007 angehört. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
II. Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das LG hat zu Recht einen groben Behandlungsfehler bejaht und hierauf die Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld gestützt.
Soweit das LG gegen die Pflicht verstoßen hat, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO; vgl. zum Arzthaftungsprozess BGH NJW 2001, 2796; BGH NJW 1988, 2302), ist dieser Mangel durch Nachholung rechtlichen Gehörs und Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen durch den Senat geheilt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht geboten.
1. Das LG hat einen groben Behandlungsfehler darin gesehen, dass der Beklagte präoperativ kein geeignetes Röntgenbild hergestellt und die risikobehaftete Operation ohne Durchführung einer ordnungsgemäßen Röntgendiagnostik vorgenommen hat.
Der Senat lässt es offen, ob schon dieser Fehler, für sich gesehen, als grob einzustufen ist. Hierfür spricht jedenfalls, dass eine aus medizinischen Gründen zweifelsfrei gebotene Befunderhebung vorgelegen haben könnte, welche - bei Unterlassen - eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität für den eingetretenen Gesundheitsschaden zu Lasten der Behandlungsseite nach sich ziehen kann (vgl. BGH NJW 2004, 2011).
2. Ein grober Behandlungsfehler setzt einen Verstoß gegen bewährte elementare Behandlungsregeln, gegen gesicherte grundlegende Erkenntnisse der Medizin voraus. Es muss um Fehler gehen, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich sind, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen (s. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. A., Rz. 522 und Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2. A., S. 500, jeweils mit umfangr. Nachweisen aus der Rechtsprechung). Der grobe Behandlungsfehler erfordert nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen den ärztlichen Standard, sondern ein schlechterdings unver...