Leitsatz (amtlich)
Auch im Verhältnis Fahrzeughersteller und Vertragshändler ist im Regelfall der Hersteller nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers. Eine etwaige arglistige Täuschung durch den Fahrzeughersteller kann dem Vertragshändler daher regelmäßig nur unter den Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB zugerechnet werden.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 12 O 111/16) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 15.2.2017 (Az. 12 O 111/16) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das angefochtene Urteil und das Senatsurteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten darüber, ob die von der Klägerin erklärte Anfechtung eines Pkw-Kaufvertrages wirksam und die Beklagte somit zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, sowie zum Ersatz verauslagter Kraftfahrzeugsteuer und der geleisteten Beiträge zur Kraftfahrzeughaftpflicht- und -kaskoversicherung verpflichtet ist.
Die Beklagte ist Vertragshändlerin für Fahrzeuge der Marke Volkswagen (im Weiteren: VW). Am 8.7.2014 schloss die Klägerin mit der Beklagten einen Kaufvertrag über ein Neufahrzeug des Modells Tiguan, Sport & Style, TDI, Schadstoffklasse Euro 5, mit "BlueMotion"-Technik zum Bruttopreis von 35.285,00 EUR. In dem Fahrzeug ist ein von der Volkswagen AG (im Weiteren: VW AG) hergestellter Dieselmotor der 2,0 Liter-Variante vom Typ EA 189 verbaut. Das Fahrzeug wurde der Klägerin am 3.11.2014 übergeben. Im September 2015 wurde der sogenannte Diesel-Abgasskandal bekannt und räumte die VW AG ein, dass die Motoren des Typs EA 189 in der 2,0 Liter-Variante, wie in dem von der Klägerin erworbenen Fahrzeug verbaut, hiervon betroffen sind. Auch die Beklagte erfuhr erst durch die mediale Berichterstattung im September 2015 von dieser Thematik. Zuvor gab es für sie diesbezüglich auch keinerlei Anhaltspunkte. Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.4.2016 (Bl. 37 GA) erklärte die Klägerin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Die Klägerin behauptet eine arglistige Täuschung der VW AG und ist der Auffassung, die Beklagte müsse sich diese zurechnen lassen. Die VW AG sei nicht Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB. Als Vertragshändler für Fahrzeuge der Marke VW sei die Beklagte direkter Bestandteil des Vertriebsnetzes der VW AG.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an sie 35.285 EUR nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.11.2014 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges VW Tiguan Sport & Style mit BlueMotion-Technik, Fahrzeugidentifizierungsnummer: WVGZZZ5NZFW528599, zu zahlen,
2. an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.589,84 EUR nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. an sie Schadensersatz in Höhe von 1.733,92 EUR nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Klägerin sei weder von ihr noch von der VW AG arglistig über vertragsrelevante Eigenschaften des Fahrzeugs im Sinne von § 123 BGB getäuscht worden. Außerdem könne ein etwaiges arglistiges Verhalten der VW AG ihr, der Beklagten, nicht zugerechnet werden, da die VW AG Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB sei.
Durch das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.2.2017 zugestellte Urteil vom 15.2.2017, auf das hiermit zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen einer Anfechtung, auf die die Klägerin sich alleine stütze, nicht gegeben seien. Die Klägerin gehe selbst davon aus, dass die Mitarbeiter der Beklagten nicht mit Täuschungsabsicht gehandelt hätten und ihnen die arglistige Täuschung der VW AG möglicherweise nicht bekannt gewesen sei; es sogar nicht fernliegend sei, dass kein einziger Mitarbeiter der Beklagten die Täuschung gekannt habe. Unter diesen Voraussetzungen sei eine etwaige von der VW AG verübte arglistige Täuschung der Beklagten nur zurechenbar, wenn erstere nicht Dritte im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB sei. Das sei jedoch nicht der Fall. Bei der insoweit gebotenen einzelfallbezogenen Betrachtung verbleibe es auch im konkreten Fall bei dem Grundsatz, dass der Hersteller im Verhältnis zum Händler Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB sei. Die VW AG sei hier in keiner Weise am Zustandekommen des Kaufvertrages beteiligt gewesen und habe darauf keinen Einfluss nehmen können. Die Beklagte habe im eigenen Namen und auf...