Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Aufklärungspflicht bei Behandlungsalternative und Eingriff mit hoher Risikodichte. Umstellungsosteotomie
Leitsatz (amtlich)
1. Besteht eine Behandlungsalternative, darf der Arzt eine konkrete Empfehlung abgeben. Liegt diese unter Berücksichtigung aller Umstände des Krankheitsbildes im Rahmen des Vertretbaren, ist die therapeutische Aufklärung nicht zu beanstanden.
2. Erklärt der Arzt, seinen Hinweis auf ein bestimmtes Risiko (hier: Fussheberparese nach Umstellungsosteotomie) schreibe er üblicherweise in den Aufklärungsbogen, kann das Schweigen der Urkunde indizieren, dass der Hinweis im konkreten Fall versäumt wurde.
3. Sind bei einem ärztlichen Eingriff Vorkehrungen zur Vermeidung einer häufigen und schwerwiegenden Komplikation erforderlich (hier: Verletzung des nervus peroneus), muss der Operationsbericht Angaben zu den Schutzmaßnahmen enthalten.
4. Für das Aufklärungsversäumnis eines Assistenzarztes haftet auch der operierende Oberarzt. Hat er die irrige Vorstellung, der Assistenzarzt habe den Patient sachgemäß aufgeklärt, kann es am Verschulden fehlen. Den Oberarzt trifft die Darlegungs- und Beweislast für einen derartigen Irrtum.
Normenkette
BGB §§ 276, 278, 253, 611, 823, 831, 840; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 02.06.2006; Aktenzeichen 10 O 512/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 2.6.2006 geändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit die Klägerin von den Beklagten wegen der am 18.1.2001 vorgenommenen Umstellungsosteotomie des linken Beins und der dabei eingetretenen Schädigung des nervus peroneus einen Ausgleich für die bis zum 19.11.2004 eingetretenen immateriellen Beeinträchtigungen und darüber hinaus Ersatz des bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen materiellen Schadens verlangt.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle nach dem 19.11.2004 eingetretenen und künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aufgrund der Operation vom 18.1.2001 entstehen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zum Operationszeitpunkt 59-jährige Klägerin nimmt die beiden beklagten Unfallchirurgen und die Drittbeklagte als Trägerin des Krankenhauses in D. auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes (Abgeltung der bis zum 19.11.2004 entstandenen Beeinträchtigungen), Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden und Ausgleich eines materiellen Schadens von 5.861,15 EUR nebst Zinsen in Anspruch. Sie lastet den Beklagten an, nach unzureichender therapeutischer Aufklärung und unvollständiger Risikoaufklärung am 18.1.2001 eine Umstellungsosteotomie am linken Bein nicht sachgemäß vorgenommen zu haben.
1967 waren der Klägerin weite Teile des Innenmeniskus des linken Kniegelenks entfernt worden. Ende November 2000 verdrehte sie sich das Kniegelenk, was einen Dauerschmerz bewirkte. Das führte zu einem stationären Krankenhausaufenthalt, der am 4.12.2000 in eine Arthroskopie des Kniegelenks mündete. Der Beklagte zu 1) stellte eine erhebliche Schädigung fest. Er nahm eine Innenmeniskusglättung vor. Nach dem Vorbringen der Klägerin war sie anschließend beschwerdefrei. Da der Beklagte zu 1) beim Entlassungsgespräch am 7.12.2000 jedoch geäußert hatte, beim Zustand des linken Kniegelenks empfehle er eine Umstellungsosteotomie (vgl. den Entlassungsbrief vom 15.12.2000), suchte die Klägerin am 17.1.2001 erneut das beklagte Krankenhaus auf. Hier erfolgte noch am selben Tag eine Risikoaufklärung durch den Zeugen Dr. K.. Über den Inhalt des in einer schriftlichen Einwilligungserklärung dokumentierten Gesprächs besteht Streit. Am darauffolgenden Tag wurde die Umstellungsosteotomie vorgenommen. Dabei wurde der nervus peroneus beschädigt, was zu einer dauerhaft verbliebenen Fußheberparese führte.
Die Klägerin behauptet dauerhafte Schmerzen im linken Bein, die sie im Wesentlichen auf die Schädigung des nervus peroneus, außerdem aber auch auf eine fehlerhafte Überkorrektur zurückführt. Weiter hat sie vorgetragen, schon die therapeutische Aufklärung sei irreführend und fehlerhaft gewesen, indem man ihr insbesondere erklärt habe, der Eingriff sei dringlich und ohne Alternative. Über die Gefahr einer Schädigung des nervus peroneus sei sie nicht aufgeklärt worden. Im Übrigen beruhe auch dieser Schaden auf einem Operationsfehler. Letztlich seien auch die therapeutischen Maßnahmen der Nachsorge fehlerhaft gewesen.
Die Beklagten haben erwidert, bei der therapeutischen Aufklärung sei sehr wohl über die Alternative eines endoprothetischen Gelenkersatzes gesprochen worden. Die Umstellungsosteotomie sei jedoch wegen des noch nicht fortgeschrittenen Alters der Klägerin nach den seinerzeit bestehenden Erkenntnismöglichkeiten die bessere Option gewesen. Die Klägerin sei auch auf ...