Leitsatz (amtlich)
Es begegnet aus rechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken, wenn operative Eingriffe, die keine unverzügliche Vornahme erfordern, zur Ermöglichung eines geplanten und geordneten Vorgehens über das Wochenende hinaus aufgeschoben werden (komplexe Revisionsoperation nach Verletzung des Gallengangs).
Über eine andere Behandlungsmöglichkeit ist nicht aufzuklären, wenn diese keine wirkliche Alternative darstellt, weil sie im konkreten Einzelfall nicht indiziert ist (offene Operation gegenüber laparoskopischer Gallenblasenexzision).
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 15.10.2015; Aktenzeichen 1 O 241/14) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 15.10.2015 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung aus diesem und dem angefochtenen Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung der Einstandspflicht für weiter gehende Schäden nach Durchführung einer laparoskopischen Gallenblasenexzision.
In der Nacht zum 22.10.2015 suchte die Klägerin, bei der am Vortag bereits der behandelnde Hausarzt aufgrund starker Schmerzen und vorhandener Gallensteine die Indikation für eine Gallenblasenentfernung gestellt hatte, das Klinikum der Beklagten zu 1) in N. auf. In der vom Beklagten zu 2) als Chefarzt geleiteten chirurgischen Abteilung wurde ebenfalls die Indikation einer Gallenblasenexzision gestellt. Es fand ein Aufklärungsgespräch statt und die Klägerin unterzeichnete den zugehörigen Einwilligungsbogen.
Am 23.10.2015 erfolgte die Durchführung einer laparoskopischen Gallenblasenexzision. Die Operation begann die Beklagte zu 3). Während der Operation kam es zur Verletzung des Gallengangs. Nachdem sich bei fehlender Laborwerterhöhung am zweiten postoperativen Tag über die einliegende Drainage eine gallige Flüssigkeit entleerte, wurde versucht, eine Spiegelung des Gallengangs unter "Dämmerschlaf" durchzuführen. Dies misslang. Am 28.10.2013 wurde unter Narkose eine Spiegelung des Gallenganges durchgeführt, die einen Abbruch des Hauptgallengangs zu Tage brachte. Daraufhin wurde am Nachmittag des 28.10.2013 im Wege eines operativen Eingriffs eine biliodigestive Anastomose (Verbindung zwischen Hauptgalleneingang und einer hochgezogenen Dünndarmschlinge) hergestellt. Am 31.10.2013 wurde in einer weiteren Operation der Bauchraum der Klägerin gespült. Die Entlassung aus der stationären Behandlung erfolgte am 27.11.2013.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zur Begründung ihres Begehrens auf ein Schmerzensgeld in einer Mindesthöhe von 25.000,00 EUR, materiellen Schadensersatz in Höhe von 6.159,00 EUR, Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.590,91 EUR sowie Feststellung der Einstandspflicht für weitere Schäden vorgetragen, die Verletzung des Gallengangs sei durch die Beklagte zu 3) erfolgt, die mangels Facharztstatus die Operation nicht habe durchführen dürfen. Die Verletzung des Gallengangs sei vermeidbar gewesen. Nach Eintritt der Verletzung hätte auf ein offenes Operationsverfahren umgeschwenkt werden müssen. Zudem sei die Nachbehandlung nicht sachgerecht erfolgt, da unmittelbar am 25.10.2013 eine Überprüfung des Vorliegens einer Gallengangsverletzung hätte erfolgen müssen. Schließlich sei sie nicht hinreichend über die Risiken der Behandlung aufgeklärt worden, da von einer Gallengangsverletzung nicht die Rede gewesen sei. Ein entsprechender handschriftlicher Hinweis in dem Aufklärungsbogen sei nachträglich erstellt worden. Bei Kenntnis dieses Risikos hätte sie sich für eine offene Operation entschieden.
Die Beklagten haben erstinstanzlich eingewandt, die Operation sei unter vollständiger Mitwirkung der Oberärztin Dr. R. durchgeführt worden. Die Beklagte zu 3) habe die Operation begonnen und im Verlauf wegen starker Verwachsungen an die anwesende Oberärztin abgegeben. Die Verletzung des Gallengangs sei durch Dr. R. erfolgt und als nicht vermeidbare Komplikation anzusehen. Ein Aufklärungsmangel liege nicht vor. Die Beklagte zu 3) habe die Klägerin ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Gallengangsverletzung mit der Folge einer etwaigen Revisionsoperation aufgeklärt und diese Risiken im Einwilligungsformular handschriftlich niedergelegt.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil vom 15.10.2015 (Bl. 147 ff. GA) Bezug genommen.
Das sachverständig beratene LG hat die Klage abgewiesen. Ein Behandlungsfehler könne den Beklagten nicht angelastet werden, da die Operation indiziert gewesen und fachgerecht ausgeführt worden sei. Es müsse davon ausgegangen werden, d...