Leitsatz (amtlich)
Eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ist unwirksam, wenn auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks ein nicht eindeutig lesbares Datum vermerkt ist (§ 180 Satz 3 ZPO) und der Adressat deshalb den Zeitpunkt der Einlegung in den Briefkasten nicht ersehen kann.
Normenkette
ZPO § 180 S. 3
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 03.03.2023; Aktenzeichen 6 O 112/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 03.03.2023 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht Trier zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Mit seiner Klage vor dem Landgericht Trier hat er die (weitere) Gewährung von Versicherungsleistungen geltend gemacht; im Termin vom 03.11.2022 erging auf Antrag des Klägers gegen die Beklagte ein den Klageanträgen entsprechendes Versäumnisurteil, vgl. Bl. 50 f. eGA LG.
Das Versäumnisurteil konnte der Beklagten nicht auf elektronischem Weg zugestellt werden; trotz mehrfacher Monierung wurde kein Empfangsbekenntnis zurückgesandt. Das Gericht hat darauf die Zustellung des Versäumnisurteils an den Beklagtenvertreter in Papierform auf dem Postweg eingeleitet. Ausweislich der Postzustellungsurkunde (zu Bl. 55 eGA LG) erfolgte die Zustellung am 12.12.2022. Auf dem Zustellumschlag, vgl. BLD 28 (in Papierform), ist handschriftlich ebenfalls ein Datum eingetragen, das von den Prozessbeteiligten als "12.12.2022" oder als "17.12.2022" gelesen wird. Mit Schriftsatz vom 02.01.2023, am gleichen Tag bei Gericht eingegangen, hat die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.
Auf den Hinweis des Landgerichts, der Einspruch sei verfristet, hat die Beklagte dem mit Schriftsatz vom 18.01.2023 widersprochen und hilfsweise einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht diesen Einspruch als unzulässig verworfen. Es hat dazu ausgeführt, das Versäumnisurteil sei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12.12.2022 zugestellt worden, die Einspruchsfrist sei mit dem 27.12.2022 abgelaufen, der Schriftsatz, mit dem die Beklagte Einspruch eingelegt habe, sei jedoch erst am 02.01.2023 bei Gericht und somit nach Fristablauf eingegangen. Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einspruchsfrist seien nicht gegeben. Zwar sei die Einspruchsfrist grundsätzlich eine wiedereinsetzungsfähige Notfrist, die Beklagte habe diese Frist jedoch nicht ohne ihr Verschulden im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO versäumt, sondern durch fahrlässiges Verhalten des Beklagtenvertreters, das ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Dieser habe nämlich die von ihm als "17.12.2022" gelesene, aber tatsächlich unleserliche und mehrdeutige Eintragung des Datums auf dem Zustellungsumschlag (12.12.2022 oder auch 17.12.2022) nicht seiner Fristberechnung zugrundelegen dürfen, sondern hätte bei Beachtung der anwaltlichen Sorgfalt Maßnahmen ergreifen müssen, zum Beispiel eine telefonische Rückfrage bei Gericht, um das Zustelldatum zuverlässig aufzuklären. Dass er dies unterlassen habe, sei ursächlich für die Fristversäumung gewesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet.
Sie trägt vor,
das Landgericht habe fehlerhaft nicht geprüft, ob eine den Fristlauf auslösende Zustellung überhaupt stattgefunden habe. Wenn die Zustellung unwirksam sei, werde keine Einspruchsfrist in Gang gesetzt.
Gehe man doch von einer Zustellung am 12.12.2022 aus, so sei auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Einspruchsfrist zu gewähren, denn eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagtenvertreters liege nicht vor.
Sie beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Versäumnisurteil vom 03.11.2022 auf den Einspruch der Beklagten vom 02.01.2023 hin - hilfsweise nach Gewährung von Wiedereinsetzung hinsichtlich der Einspruchsfrist in den vorigen Stand - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Hilfsweise beantragt sie,
die Sache unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen und schließt sich dem Hilfsantrag der Beklagten an.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist darauf, dass die Beklagte zum Zustellungsversuch per beA keine Stellung genommen habe.
Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie den gesamten Akteninhalt verwiesen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Auf die Hilfsanträge beider Parteien wird die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen. Die Voraussetzungen nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen vor, denn mit dem angefochtenen Urteil...