Leitsatz (amtlich)

1. Zur Anliegerhaftung einer rheinland-pfälzischen Stadt wegen Verletzung der winterlichen Räum- und Streupflicht nach allgemeinen deliktsrechtli-chen Grundsätzen.

2. Hat eine Gemeinde durch Satzung die winterliche Räum- und Streupflicht den Eigentümern der Anliegergrundstücke überbürdet, so haben diese an-stelle der Gemeinde, bei der eine Überwachungspflicht verbleibt, deren gesetzliche Straßenreinigungspflichten zu erfüllen. Eine darüber hinausge-hende Pflichtenstellung des privaten Anliegers statuiert die gegenständli-che Reinigungssatzung nicht.

3. Eine winterliche Reinigungspflicht zum Schutze der Fußgänger besteht - auch - für die Anlieger nur insoweit, als dies für den Verkehr tatsächlich notwendig ist; es ist darauf abzustellen, ob die Fußgänger bei vernünftigen Sicherheitserwartungen mit der Räumung des Gehweges rechnen dürfen.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1; LStrG-RP §§ 17, 48 Abs. 2; Reinigungssatzung der Stadt Kaisersesch § 1 Abs. 1 Fassung: 1983-07-05, § 3 Abs. 1 Fassung: 1983-07-05, Abs. 2 Fassung: 1983-07-05, § 6 Nr. 2 Fassung: 1983-07-05, Nr. 3 Fassung: 1983-07-05

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 13.01.2011; Aktenzeichen 1 O 374/10)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 13.1.2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin verfolgt gegenüber der beklagten - verbandsangehörigen - Stadt als Straßenreinigungspflichtige und zugleich als Eigentümerin der erschlossenen Grundstücke Schadensersatzansprüche wegen eines behaupteten Sturzes auf schneeglatter Straßenfläche.

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

In der Satzung über die Reinigung öffentlicher Straßen der beklagten Stadt vom 5.7.1983 (Anlage K 3; Bl. 10 ff. GA) heißt es:

§ 1 Reinigungspflicht

(1) Die Straßenreinigungspflicht, die gem. § 17 Abs. 3 LStrG der Gemeinde obliegt, wird den Eigentümern oder Besitzern derjenigen bebauten oder unbebauten Grundstücke auferlegt, die durch eine öffentliche Straße erschlossen werden oder an sie angrenzen. (...) Die Reinigungspflicht der Gemeinde als Grundstückseigentümern oder dingliche Berechtigte ergibt sich unmittelbar aus § 17 Abs. 3 LStrG. (...)

§ 3 Gegenstand der Reinigungspflicht

(1) Die Reinigungspflicht umfasst die innerhalb der geschlossenen Ortslage gelegenen öffentlichen Straßen.

(2) Geschlossene Ortslage ist der Teil des Gemeindegebietes, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist. Einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung unterbrechen den Zusammenhang nicht. Zur geschlossenen Ortslage gehört auch eine an der Bebauungsgrenze verlaufende, einseitig bebaute Straße, von der aus die Baugrundstücke erschlossen sind.

(...)

§ 6 Umfang der Straßenreinigung

Die Reinigungspflicht umfasst insbesondere

1. (...),

2. die Schneeräumung auf den Straßen (§ 8),

3. das Bestreuen der Gehwege, Fußgängerüberwege und der besonders gefährlichen Fahrbahnstellen bei Glätte (§ 9),

4. (...)

§ 8 Schneeräumung

(1) Wird durch Schneefälle die Benutzung von Fahrbahnen und Gehwegen erschwert, so ist der Schnee unverzüglich wegzuräumen. Gefrorener oder festgetretene Schnee ist durch Loshacken zu beseitigen. (...)

(2) Die vom Schnee geräumten Flächen vor den Grundstücken müssen so aufeinander abgestimmt sein, dass eine durchgehende benutzbare Gehfläche gewährleistet ist. (...)

§ 9 Bestreuen der Straßen

(1) Die Streupflicht erstreckt sich auf Gehwege, Fußgängerüberwege und die besonders gefährlichen Fahrbahnstellen bei Glätte. (...)

(4) Die Straßen sind erforderlichenfalls mehrmals am Tage so zu streuen, dass während der allgemeinen Verkehrszeiten 7.00 bis 20.00 Uhr auf den Gehwegen, Fußgängerüberwegen und besonders gefährlichen Fahrbahnstellen keine Rutschgefahr besteht.

(...)

Das LG hat nach Anhörung der Klägerin mit Urteil vom 13.1.2011 (Bl. 63 ff. GA) die Klage abgewiesen; hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin rügt "nicht ganz vollständige bzw. einseitig dargestellte" tatbestandliche Feststellungen sowie eine rechtsfehlerhaft unterlassene Anwendung des vorliegend heranzuziehenden "Ortsrechts" der beklagten Stadt (Reinigungssatzung). Zum fraglichen Unfallzeitpunkt sei dem hier gegenständlichen (Fußgänger-)Weg entlang der Straße "Im Haag", wie sich zwingend aus der Anhörung der Klägerin habe ergeben müssen (Sitzungsprotokoll vom 16.12.2010; Bl. 54 f. GA), im Blick auf die Sperrung der Innenstadt wegen Straßen(um-)bauarbeiten eine "extreme Verkehrsbedeutung" beigekommen; es habe sich um eine "allgemein bekannte und beliebte Spazierstrecke" (Rundweg) gehandelt. Dem angefochtenen Urteil sei zwar insofern zuzustimmen, als dort eine allgemeine Verkehrssicherungspflichtverletzung der öffentlichen Hand verneint werde; es ignoriere indessen vollkommen - entscheidungserheblich - das geltende Ortsrecht, ...

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