Leitsatz (amtlich)
1. Zur notariellen Amtspflicht bei der Beurkundung einer beabsichtigten Kapitalerhöhung im Wege des sog. Ausschüttungs-Rückholungsverfahrens.
2. Die von Amts wegen bestehenden Prüfungs- und Belehrungspflichten des Notars können auch gegenüber einem rechts- und geschäftserfahrenen Beteiligten nur dann vollständig in Wegfall kommen, wenn dieser sich über die Tragweite seiner Erklärungen vollständig im Klaren war und die konkrete Urkundsausgestaltung ernsthaft wollte.
3. Eine Mitverantwortung des rechts- und geschäftserfahrenen Urkundsbeteiligten kann in Betracht kommen, wenn sein Schadensbeitrag im Bereich der Eigenverantwortung wurzelt, er mithin diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die nach der Sachlage erforderlich erschien, um sich selbst vor Schaden zu bewahren.
Normenkette
BNotO § 19 Abs. 1; BeurkG § 6 Abs. 2, § 17 Abs. 1, 2 S. 1; GmbHG § 9 Abs. 1, §§ 9a, 19 Abs. 4-5, § 56 Abs. 2, § 56a; BGB §§ 31, 254 Abs. 1, 2 S. 2, § 278 S. 1
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 26.05.2009; Aktenzeichen 2 O 260/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des LG Trier vom 26.5.2009 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.351,59 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.8.2007 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin zu 3/7 und der Beklagte zu 4/7; die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen die Klägerin zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 29.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 1.500 EUR abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen, soweit die Klägerin durch die Annahme eines ihr zurechenbaren Mitverschuldens bei der Entstehung des Schadens beschwert ist.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den beklagten Notar wegen Amtspflichtverletzung im Zusammenhang mit der fortlaufenden Beurkundung von Erhöhungen ihres Stammkapitals auf Schadensersatz in Anspruch.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), die wie folgt ergänzt werden:
Die Klägerin wurde am 29.4.1997 gegründet (UR-Nr. 923/1997 des Beklagten; Anlage K 1). Gründungsgesellschafter waren Herr Rechtsanwalt Justizrat S. (Fachanwalt für Arbeits- und Insolvenzrecht) mit einer Stammeinlage i.H.v. 49.000 DM und Herr W. mit einer - treuhänderisch für Rechtsanwalt S. gehaltenen - Stammeinlage i.H.v. 1.000 DM. Die Klägerin führte die Geschäfte der W. GmbH & Co., Maschinenfabrik GmbH fort, als deren Insolvenzverwalter Herr Rechtsanwalt S. berufen worden war (§ 2 des Gesellschaftsvertrages vom 29.4.1997; Anlage K 1). Nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister wurde Rechtsanwalt S. Alleingesellschafter und übertrug seine Anteile an Herrn J. (Kaufmann); dieser hat sodann durch Gewährung neuer Geschäftsanteile das Stammkapital auf 740.000 DM erhöht (Barkapitalerhöhung) und weitere Mitgesellschafter zur Übernahme der neuen Stammeinlagen zugelassen (UR-Nr. 1688/1997 des Beklagten). In den Jahren 1998 bis 2005 beschloss die Klägerin fortlaufend (insgesamt sechs) Erhöhungen des Stammkapitals aus Mitteln der Gesellschaft auf letztlich 1,5 Mio. DM; die betreffenden Erklärungen der übernehmenden Mitgesellschafter wurden vom Beklagten beurkundet (Anlagen K 2 bis K 7); jeweils allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin im besagten Zeitraum waren Herr J. und der - zwischenzeitlich verstorbene - Rechtsanwalt S.
Mit notarieller Urkunde vom 30.7.1998 (UR-Nr. 1765/1998; Anlage K 2) wurde das Stammkapital auf 1.006.400 DM erhöht und die Mitgesellschafter zur Übernahme der neuen Stammeinlagen zugelassen. Der Mitgesellschafter Hans J. war persönlich im Urkundstermin anwesend, die weiteren (insgesamt acht) Mitgesellschafter wurden durch Rechtsanwalt S. als Bevollmächtigter aufgrund in Urschrift vorgelegter und der Urkunde beigefügter Vollmachten vertreten. In den Vollmachten findet sich jeweils folgender - gleichlautender - Text:
"Wir [Unterzeichner] bevollmächtigen hiermit Herrn Rechtsanwalt Justizrat S. uns in der noch einzuberufenden zweiten Gesellschafterversammlung der [Klägerin] zu vertreten.
Einziger Tagesordnungspunkt dieser zweiten Gesellschafterversammlung ist:
Umsetzung des Beschlusses der ersten Gesellschafterversammlung über die Verwendung des Gewinns i.H.v. 260.000 DM im "Schütt-aus/Hol-zurück-Verfahren"/Erhöhung des Gesellschaftskapitals um 260.000 DM.
Für diese zweite Gesellschafterversammlung verzichten wir auf die Einhaltung aller Form- und Fristvorschriften."
In der Urkunde vom 30.7.1998 heißt es:
"Di...