Leitsatz (amtlich)
1. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer in die Motorsteuerung integrierten Umschaltlogik, die aufgrund technischer Parameter die Betriebsart des Fahrzeugs (Prüfbetrieb oder Echtbetrieb) ermittelt und dementsprechend die Abgasrückführung aktiviert oder deaktiviert, stellt eine konkludente Täuschung dar; im Inverkehrbringen eines solchen Fahrzeugs mit erschlichener Typengenehmigung (und hierdurch drohender Stilllegung des Fahrzeugs) liegt eine sittenwidrige Handlung.
2. Die Verheimlichung des Einsatzes der Software gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt, den beteiligten Stellen und den potentiellen Kunden belegt hinreichend, dass die beteiligten Mitarbeiter des Herstellers in der Vorstellung handelten, dass der Einsatz der Software zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Typengenehmigung und der Betriebszulassung der so ausgestatteten Fahrzeuge führen könnte und dass potentielle Kunden Fahrzeuge, die derart mit rechtlichen Unsicherheiten belastet waren, nicht ohne weiteres erwerben würden; dieses vorsätzliche Handeln muss sich der Hersteller nach § 31 BGB zurechnen lassen.
3. Der - auf Rückabwicklung des Kaufs gerichtete - Schadensersatzanspruch des Käufers entsteht mit dem Erwerb des Fahrzeugs; in der (Jahre später) erfolgten Ausstattung des Fahrzeugs mit dem vom Kraftfahrtbundesamt erzwungenen Softwareupdate liegt keine Erfüllung dieses Schadensersatzanspruchs.
4. Auch bei Schadensersatzansprüchen gegenüber einem wegen Arglist haftenden Hersteller ist ein Nutzungsersatz für den zwischenzeitlichen Gebrauch des Fahrzeugs zu berücksichtigen; eine - nicht an der möglichen Motorlaufleistung, sondern an der Lebensdauer des gesamten Fahrzeugs orientierte - Schätzung der Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs auf 250.000 Kilometer ist nicht zu beanstanden.
5. Investitionen des Käufers in das Fahrzeug sind grundsätzlich erstattungsfähig, aber in den Vorteilsausgleich einzubeziehen; für notwendige Erhaltungskosten (bspw. Wischblätter, Ölwechsel etc.) erfolgt keine Erstattung.
6. Dem Käufer eines mit einer solchen Umschaltlogik ausgestatteten Fahrzeugs stehen auch Zinsen nach § 849 BGB zu; als Bemessungsgrundlage für den Zinsanspruch ist der nach § 287 ZPO zu schätzende Minderwert des Fahrzeugs heranzuziehen, der mit 10 % des Kaufpreises für das Fahrzeug veranschlagt werden kann.
7. Der Hersteller gerät nicht in Annahmeverzug, wenn der Käufer die Herausgabe des Fahrzeugs lediglich Zug um Zug gegen die Zahlung des vollen Kaufpreises (ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung) angeboten hat und erkennbar ist, dass der Käufer das Fahrzeug bei Zahlung eines berechtigterweise gekürzten Betrages nicht herausgeben werde.
8. Ein Überschreiten der Schwellengebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist nicht gerechtfertigt, wenn der Bevollmächtigte des Käufers bereits zahlreiche Geschädigte im Zusammenhang mit dem Dieselabgasskandal vor Gericht vertritt.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 12 O 213/17) |
Tenor
I. Auf die Berufungen des Klägers sowie der Beklagten zu 2) wird das Teilurteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 14.12.2018 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 13.412,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 2.570,00 EUR seit dem 24.3.2011 sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus weiteren 10.842,77 EUR seit dem 2.12.2017, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkws VW Golf, GTD 2,0 l TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer WVWZZZ1KZBW031079, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu leisten für künftige Schäden, die aus der Installation derjenigen Motorsteuerung des in dem Fahrzeug GTD 2,0 l TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer WVWZZZ1KZBW031079 verbauten Motors EA 189 resultieren, bei der es sich nach Ansicht des Kraftfahrtbundesamtes um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.
3. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung seines Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 EUR freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers sowie die Berufung der Beklagten zu 2) zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 60 % und die Beklagte zu 2) 40 % zu tragen. Die Entscheidung über die Kosten der 1. Instanz bleibt der erstinstanzlichen Endentscheidung vorbehalten.
IV. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um materiell...