Leitsatz (amtlich)
1. Der Rückgriff auf § 3 Abs. 2 UWG verstößt auch in Fällen, in welchen keine aggressive Geschäftspraktik vorliegt, nicht gegen europarechtliche Vorgaben; die vollharmonisierende Wirkung der UGP-RL steht dem nicht entgegen.
2. Es entspricht nicht der unternehmerischen Sorgfalt, einem Verbraucher ein Angebot zu unterbreiten, bei dessen Annahme er sich gegenüber einem Dritten vertragswidrig verhält.
3. So (Ziffer 2.) liegt der Fall, wenn das beworbene Angebot und damit die streitgegenständliche Werbung den angesprochenen Verbraucher veranlassen kann, den werbenden Unternehmer unter Verletzung seiner Verpflichtung aus einem Versicherungsvertrag insbesondere durch Ausschlagung eines gleichwertigen oder günstigeren Angebots eines Mitbewerbers allein deshalb zu beauftragen, weil er einen seitens des Unternehmers versprochenen Vorteil erlangen möchte.
4. Ein Verstoß der Beklagten gegen die unternehmerische Sorgfalt liegt in einem solchen Fall (Ziffer 3.) aber dann nicht vor, wenn ohne weiteres davon ausgegangen werden könnte, dass der Versicherer keine Einwände erheben würde, beispielsweise weil der versprochene branchenübliche Vorteil geringfügig wäre. Dabei kommt es aber nicht auf den objektiven - tatsächlichen - Wert des versprochenen Vorteils an. Entscheidend ist insoweit vielmehr, welche Vorstellungen die Werbung bei den betroffenen Verbrauchern hervorzurufen geeignet ist.
Normenkette
EGRL 29/2005; UWG § 3 Abs. 1-2, § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 18.07.2017; Aktenzeichen 1 HK O 73/14) |
Tenor
1. Die gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 18. Juli 2017 gerichtete Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es in seinem Tenor Ziffer 1. statt "und/oder in Flyern" richtigerweise "und/oder in Flyern gegenüber Verbrauchern" sowie in seinem Tenor Ziffer 3. statt "Die Beklagte wird verurteilt" richtigerweise "Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist" heißt.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
3. Sowohl das vorliegende als auch das angegriffene Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf eine Vollstreckung aus dem Unterlassungstenor durch Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,- EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen darf die Beklagte eine Vollstreckung seitens der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des betreffenden Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin betätigt sich als Franchisegeberin für die Reparatur und den Ersatz von Glasscheiben, insbesondere von Autoglasscheiben. Die Beklagte betreibt im gesamten Bundesgebiet den Austausch und die Reparatur von Kraftfahrzeugscheiben; insoweit besteht ein sogenannter Nachfragemarkt. Etwaige wettbewerbsbeeinträchtigende Handlungen der Beklagten führen zu einer Absatzstörung bei der Klägerin, nämlich zum Verlust von Lizenzeinnahmen unter anderem im Einzugsbereich von Koblenz und Umgebung.
Im April des Jahres 2014 warb die Beklagte überregional im Internet sowie in Funk und Fernsehen für den Austausch und/oder die Reparatur von Kraftfahrzeugscheiben unter anderem mit folgendem Text und der nachfolgend wiedergegebenen Anzeige:
"WISCHER GRATIS! Nur für kurze Zeit: Beim Scheiben-Austausch oder der Steinschlagreparatur erhalten Sie neue Markenwischer gratis."
[... Abbildung...]
Bei der so versprochenen Zugabe handelte es sich jeweils um einen Satz Bügelwischer des Modells [...]. Der Verkaufspreis eines solchen Scheibenwischer-Satzes liegt - je nach Fahrzeugmodell - bei 12,- EUR bis 17,- EUR brutto; im Einkauf kostet er lediglich zwischen 1,65 EUR und 3,42 EUR brutto.
Zuwendungen bis zu einem Wert von 20,- EUR sind in der Branche des Austauschs und der Reparatur von Kraftfahrzeugscheiben üblich. Scheibenwischer für Kraftfahrzeuge übersteigen diese Wertgrenze im Durchschnitt deutlich; insbesondere solche der Marke [...] kosten - je nach Modell - bis zu 130,- EUR.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. Mai 2014 wurde die Beklagte seitens der Klägerin förmlich abgemahnt. Wegen der Einzelheiten dieser Abmahnung wird ergänzend auf ihre zur Gerichtsakte gereichte Ablichtung, Bl. 14 ff. d.A., Bezug genommen. Eine entsprechende strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Beklagte nicht abgegeben.
Die Klägerin hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten,
die streitgegenständliche Werbung der Beklagten verstoße gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG, jedenfalls aber gegen § 3 Abs. 2 UWG. Zulässig sei sie nur dann, wenn der jeweils betroffene Kaskoversicherer des Kunden vorher über das Versprechen der Zugabe informiert worden und mit deren Gewährung einverstanden sei. Der hier konkret in Aussicht gestellte Vorteil sei nicht geringfügig im rechtlich relevanten Sinne; maßgeblich sei...