Normenkette
BGB §§ 823, 847
Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Aktenzeichen 3 O 459/92) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Bad Kreuznach v. 22.4.1998 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des LG Bad Kreuznach v. 22.4.1998 zu Ziff. 1 abgeändert und insoweit insgesamt neu gefasst wie folgt:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu Händen seiner gesetzlichen Vertreter 285.000 Euro nebst 4 % Zinsen seit 16.4.1992 zu zahlen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 310.000 Euro abwenden, sofern die Gegenseite nicht vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet; die Sicherheitsleistungen können durch Bankbürgschaft erfolgen.
Tatbestand
Der am 2.10.1990 geborene Kläger ist wegen einer Halsmarkszerreißung i.H.d. Halswirbelkörper 6 und 7 querschnittsgelähmt. Bei seinem Geburtsvorgang kam es zu einer Schulterdystokie. Der Kläger wirft dem Beklagten, seinem Geburtshelfer, vor, die Schulterdystokie fehlerhaft gelöst und dadurch seine Querschnittslähmung verursacht zu haben. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schmerzensgeld sowie auf Feststellung zur Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch.
Die damals 37-jährige Mutter des Klägers begab sich am 2.10.1990 gegen 4.50 Uhr mit spontaner Wehentätigkeit in das städtische Krankenhaus in K. Gegen etwa 7.00 Uhr ließ die Hebamme, die Zeugin O., den Beklagten rufen, weil sie eine Gesichtslage des Klägers festgestellt habe. Gegen 8.20 Uhr bekam die Mutter des Klägers bei vollständig geöffnetem Muttermund Presswehen. Die Hebamme übernahm die Geburt. Da jedoch im weiteren Verlauf der Geburt eine Schulterdystokie vorlag – ein gestörter Geburtsablauf, bei dem nach dem Austritt des Kopfes die Schulter des Kindes an der Symphyse der Mutter hängen bleibt –, erfolgte das weitere Geburtsmanagement durch den Beklagten. Gegen 8.40 Uhr wurde der Kläger geboren. Die CTG-Aufzeichnung umfasst jedoch den Zeitraum 2.10., 6.57 Uhr bis etwa 9.10 Uhr. Den Geburtsverlauf dokumentierte der Beklagte u.a. wie folgt: „Spontanpartus aus Gesichtslage mit etwas schwieriger Schulterentwicklung nach normaler Geburt des Köpfchens. Fetale Herzfrequenz sub partu immer o.B.”.
Wegen eines schwachen Muskeltonus wurde der Kläger nach der Geburt in die Kinderklinik der Städtischen Krankenanstalten I. verlegt. Der Aufnahmebefund der Kinderklinik lautete u.a.: „Blasses Neugeborenes mit Tachypnoe und Tachykardie”. Während des Aufenthalts in der Kinderklinik waren die praktisch rein abdominelle Atmung des Klägers sowie eine Parese der Extremitäten auffällig.
Im August 1992 wurde der Kläger im C.-hospital in M. operiert. Der Operateur Prof. Dr. W. diagnostizierte aufgrund der Operation bei dem Kläger eine Querschnittslähmung infolge geburtstraumatischer Halsmarkläsion i.H.v. HWK 6 und 7.
Der Kläger ist vom mittleren Bereich des Brustkorbes ab nach unten komplett gelähmt. Er ist in der Lage, beide Arme zu bewegen, die Hände jedoch nur eingeschränkt. Mit einem Korsett kann er „im Schneidersitz” sitzen. Er ist auch in der Lage, selbstständig zu trinken und vorbereitete Nahrung selbstständig zu essen. I.Ü. ist er für alle Verrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen.
Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte habe die Schulterdystokie nicht lege artis entwickelt, sondern unsachgemäß mit großer Kraftanstrengung während der Geburt an seinem Kopf gezogen und gezerrt. Hierdurch sei es zu der Halsmarkläsion gekommen, die zu seiner Querschnittslähmung geführt habe.
Der Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, er habe vorsichtig und ohne Kraftanstrengung die während der Geburt des Klägers aufgetretene Schulterdystokie gelöst. Die Halsmarkläsion könne der Kläger daher nicht während der Geburt erlitten haben. Sie sei vielmehr Folge eines Hämatoms, das durch Kompression nach und nach zu einer Rückenmarkschädigung bei dem Kläger geführt habe.
Durch das angefochtene Urteil hat das LG den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 420.000 DM verurteilt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Zur Begründung hat das LG ausgeführt:
Der Beklagte sei für die Querschnittslähmung des Klägers verantwortlich. Aus dem Gutachten des Neuropädiaters Prof. Dr. R. v. 12.6.1997 ergebe sich, dass die Halsmarkläsion des Klägers eine traumatische Ursache während des Geburtsvorgangs habe und nicht Folge einer Kompression durch ein Hämatom sei. Wie es im Einzelnen während der Geburt zu der Halsmarkläsion gekommen sei, sei wegen der unvollständigen Dokumentation des Geburtsvorgangs nicht feststellbar. Durch die unzureichende Dokumentation habe der Beklagte ein Aufklärungshindernis verursacht, das zu einer Beweiserleichterung für den Kläger führe. Für einen Behandlungsfehler lägen gewichtige Anhaltspunkte vor. Nachdem das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. R. vorgelegen habe, habe der Beklagt...