Leitsatz (amtlich)

1. Eine deliktische Haftung des Bauherrn für baubedingte Schäden am Nachbargebäude scheidet aus, wenn er die Arbeiten von Fachleuten hat durchführen lassen, deren Sachkunde er vertrauen durfte. Architekt und Bauunternehmer sind keine Verrichtungsgehilfen des Bauherrn.

2. Für derartige Schäden schuldet der Bauherr jedoch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 S. 2 BGB einen angemessenen Ausgleich, wenn der Geschädigte die Beeinträchtigung nicht abwehren konnte.

3. Der Ausgleichsanspruch verjährt auch dann nach 30 Jahren, wenn daneben ein Anspruch aus unerlaubter Handlung in Betracht kommt, für den die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB gilt.

4. Hat der Kläger erstinstanzlich keinen Anlass, zu seiner Aktivlegitimation ergänzend vorzutragen, muss neues Vorbringen in zweiter Instanz jedenfalls mangels Nachlässigkeit berücksichtigt werden.

 

Normenkette

BGB §§ 195, 276, 278, 823, 831, 852, 906, 909, 1004; ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Nr. 3 n.F.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 05.12.2002; Aktenzeichen 4 O 384/98)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Koblenz vom 5.12.2002 aufgehoben.

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Zur Entscheidung über den Umfang des Klageanspruchs wird die Sache an das LG Koblenz zurückverwiesen. Dort ist auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu befinden.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten im Wege der Leistungsklage und der Feststellungsklage auf Schadensersatz in Anspruch. Er wirft ihnen vor, ihr Grundstück anlässlich der Errichtung eines Gebäudes in einer Weise vertieft zu haben, dass das in seinem Eigentum und im Eigentum seiner Schwester stehende Nachbarhaus die erforderliche Stütze verloren habe und daraufhin Risse aufgetreten seien.

Das LG, auf dessen Urteil – außer auf die Schriftsätze der Parteien und der Streithelferin der Beklagten – zur näheren Sachverhaltsdarstellung Bezug zu nehmen ist (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO), hat das Klageverlangen im Anschluss an eine Beweisaufnahme abgewiesen, weil es eine Schadensursächlichkeit des Bauvorhabens der Beklagten nicht hat bejahen können. Das greift der Kläger in Erneuerung seines Begehrens mit der Berufung an. Er wendet sich gegen die Beweiswürdigung des LG, das namentlich die gebotene Auseinandersetzung mit der Stellungnahme eines Privatgutachters habe vermissen lassen.

II. Die Berufung führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache (§ 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). Entgegen der Auffassung des LG haben sich die Beklagten dem Kläger ersatzpflichtig gemacht. Wie weit diese Ersatzpflicht reicht, bedarf allerdings noch einer Aufklärung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist deshalb lediglich der Erlass eines Grundurteils möglich.

1. Eine Inanspruchnahme der Beklagten unter deliktischen Gesichtspunkten scheidet freilich aus. Sie würde, gleich ob man insoweit § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 909 BGB heranzieht, grundsätzlich ein persönliches schuldhaftes Fehlverhalten voraussetzen. Dafür ist nichts ersichtlich.

a) Die Beklagten haben den Bau auf ihrem Grundstück nicht eigenverantwortlich erstellt, sondern dazu andere Personen herangezogen. Für sie waren drei Architekten (denen sie im Verlauf des Rechtsstreits den Streit verkündet haben) bauleitend tätig, und die Arbeitsausführung lag bei einem Bauunternehmen (das als Streithelfer in den Prozess eingetreten ist). Es ist weder behauptet noch sonst erkennbar, dass die Beklagten diesen Fachleuten nicht hätten vertrauen können und, indem sie sie beauftragten, ihren Sorgfaltspflichten nicht genügten. Genauso wenig gibt es Hinweise darauf, dass sie später Anlass zu der Annahme gehabt hätten, das Bauvorhaben werde nicht sachgerecht durchgeführt, weil nachbarliche Interessen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise beachtet würden. Daher lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagten zu irgendeiner Zeit gehalten gewesen wären, sich persönlich um die Bauarbeiten zu kümmern und auf die von ihnen beauftragten Personen Einfluss zu nehmen (BGH v. 4.7.1997 – V ZR 48/96, MDR 1997, 1021 = NJW-RR 1997, 1374; BGH NJW 2001, 1865 [1866]; OLG Hamm ZfS 1996, 6 f.; einschränkend OLG Bremen MDR 1960, 495). Sie konnten davon ausgehen, dass diese in nicht geringerem Maße aufmerksam und sachkundig waren als sie selbst. Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch mangelnde Kontrolle ist mithin nicht gegeben. Dafür, dass die Beklagten Weisungen erteilt hätten, das Baugrundstück in Gefahr bringender Weise auszuschachten und dabei gleichzeitig von notwendigen Sicherungsmaßnahmen zugunsten der Grundstücksnachbarn abzusehen, fehlt jeder Anhalt.

b) Für etwaige schadensbegründende Nachlässigkeiten der Architekten oder des Bauunternehmens brauchen die Beklagten nicht einzustehen. Da das nachbarliche Verhältnis der Parteien vertragliche oder quasi-vertragliche Beziehungen zum Kläger nicht begründen konnte (BGHZ 42, ...

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