Leitsatz (amtlich)
1. Zur Aufrechnung mit einer verjährten Forderung wegen überzahlter Darlehenszinsen gegenüber dem endfälligen Darlehensrückzahlungsanspruch bei nachträglicher Aktivierung eines vormals eingeräumten Sondertilgungsrechts.
2. Das Gesetz schützt in § 215 BGB das Vertrauen des Schuldners in den Bestand und den Erhalt einer Aufrechnungsmöglichkeit. Vorausgesetzt ist eine in unverjährter Zeit bestandene Aufrechnungslage i.S.d. § 387 BGB; die Hauptforderung des Gläubigers und die Gegenforderung des Schuldners müssen sich mithin einmal vollgültig gegenübergestanden haben.
3. Der Schuldner genießt nur dann Vertrauensschutz, wenn die Verjährung der Gegenforderung nach der Vollendung des Aufrechnungstatbestandes eintrat, namentlich die Hauptforderung bereits zuvor erfüllbar wurde.
Normenkette
BGB n.F. § 215; BGB a.F. § 390 S. 2
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 26.11.2009; Aktenzeichen 3 O 117/09) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Koblenz vom 26.11.2009 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits im ersten und zweiten Rechtszug trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 8.750 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Sicherheitsleistung darf auch durch schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts erbracht werden.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verfolgt gegenüber der beklagten Bank die Rückerstattung überzahlter Zinsen nebst gezogener Nutzungen aus zwei im Januar 1996 abgeschlossenen Verbraucherdarlehensverträgen. Die Beklagte hat für den Zeitraum ab Januar 2005 das Kundenkonto berichtigt; hinsichtlich des zurückliegenden Zeitraums Februar 1996 bis Dezember 2004 (107 Monate) hält sie die dem Grunde nach nicht beanstandeten Rückerstattungsansprüche aber für bereits verjährt. Die Klägerin hat daraufhin gegen die Ansprüche der Beklagten auf Rückzahlung der Darlehensvaluta ("Sondertilgungsbeträge für die Jahre 1996 bis 2004") die Aufrechnung mit den vorbezeichneten Rückerstattungsansprüchen i.H.v. insgesamt 97.468,32 EUR erklärt; über die Wirksamkeit und die Rechtswirkungen der Aufrechnung besteht Streit. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Feststellung des Nichtbestehens des Darlehensrückzahlungsanspruchs im Umfang der streitgegenständlichen Aufrechnungserklärung sowie den Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat mit Urteil vom 26.11.2009 (Bl. 118 ff. GA) der Klage vollumfänglich stattgegeben; hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte, die bereits die Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung vom 5.3.2008 (Anlage K 4; Bl. 24 GA) in Zweifel zieht (Zeitbestimmung; Unbestimmtheit), bekämpft im Kern die vom LG angenommene rückwirkende Erlöschenswirkung. Die (Ausnahme-)Regelung des § 215 BGB sei im Streitfall weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Nach ganz herrschender Auffassung könne eine in Unkenntnis der Aufrechnungsmöglichkeit erbrachte Leistung nicht mehr zurückgefordert werden. Rechtsähnlich liege es hier, da das der Klägerin vertraglich eingeräumte Recht zur Sondertilgung infolge seiner Nichtausübung je zum Jahresende mit Ausschlusswirkung für die vergangenen Zeiträume verfallen sei. Durch die erstmals im Schreiben der Klägerin vom 5.3.2008 verlautbarte Erklärung könne eine - nachträgliche, rückwirkende - Aufrechnungslage nicht mehr geschaffen werden.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG Koblenz vom 26.11.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die im angefochtenen Urteil vertretene Rechtsauffassung zur (Rück-)Wirkung der streitgegenständlichen - wiederholt bekräftigten - Aufrechnungserklärung. Für die Vergangenheit habe gerade die in § 215 BGB in Ansehung einer verjährten Gegenforderung geforderte Aufrechnungslage vorgelegen. In den hier fraglichen neun zurückliegenden Jahren habe nämlich jeweils ein Sondertilgungsrecht der Klägerin i.H.v. jährlich max. 100.000 DM, mithin insgesamt 900.000 DM, bestanden; die zur Aufrechnung verwendete Darlehensvaluta sei demnach in mehr als ausreichender Höhe in den genannten Jahren jeweils mit den sich für ein Kalenderjahr ergebenden Zinsrückforderungsansprüchen erfüllbar gewesen. Eine Teilkündigung der Darlehen in Höhe der jeweils in Anspruch genommenen Sondertilgung sei nicht geboten gewesen; das entsprechende Recht habe der Beklagten nach den Darlehensverträgen vielmehr "voraussetzungslos" zugestanden. Die von der Klägerin bezifferte Höhe der Gegenforderung werde von der Beklagten nun nicht mehr in Frage gestellt.