Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Haftung des Orthopäden für vertretbare operative Versorgung einer adipösen Patientin mit Knieproblemen
Leitsatz (amtlich)
1. Sind die Chancen einer konservativen Behandlung der Knieprobleme einer adipösen Patientin ausgeschöpft, ist der ärztliche Rat zur sofortigen Operation auch dann nicht zu beanstanden, wenn ein besseres Operationsergebnis nach deutlicher Gewichtsreduktion wahrscheinlich ist, eine dahin führende Lebensweise der Patientin aber nicht erwartet werden kann.
2. Bestehen verschiedene Operationsmöglichkeiten ist die gewählte nicht zu beanstanden, sofern die Alternativmethoden nicht signifikant bessere Chancen bieten oder weniger risikobehaftet sind.
3. Bei der computergestützten Implantation einer Kniegelenksprothese kann aus deren suboptimalem Sitz kein schuldhafter Fehler des Arztes hergeleitet werden, sofern er keinen Einfluss auf den vom Computerprogramm vorgegebenen Operationsweg genommen hat und auch kein Anhalt dafür bestand, dass das Programm fehlerbehaftet sein könnte.
4. Ist die wegen postoperativer Komplikationen erforderliche Verlegung des Patienten in eine Klinik der Maximalversorgung verzögert worden, muss er in der Regel auch darlegen und beweisen, dass die zeitigere Verlegung den weiteren Kausalverlauf zu seinen Gunsten beeinflusst hätte.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 280, 611, 823; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 11.09.2013; Aktenzeichen 10 O 101/11) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Koblenz vom 11.9.2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beklagten betreiben eine orthopädische Gemeinschaftspraxis und sind Belegärzte im S. Hospital in A.. Dort wurde die Klägerin am 08.02.2009 stationär aufgenommen, von dem Beklagten zu 1) (künftig: Der Beklagte) aufgeklärt und am 09.02. 2009 am rechten Knie operiert. Navigationsgesteuert wurde ihr eine zementierte mediale Kniegelenk-Schlittenprothese implantiert.
Nachdem es während der anschließenden Rehabilitationsbehandlung zu einer Lockerung und Abkippung der Prothese gekommen war, wurde die Klägerin erneut in die Belegabteilung des S. Hospitals in A. aufgenommen, wo der Beklagte am 18.03.2009 eine Revisionsoperation unter Verwendung eines modularen Knies vornahm. Postoperativ kam es zu Wundheilungsstörungen, die zu weiteren Operationen am 23.04. und 27.04.2009 durch den Beklagten führten. Anlässlich einer nochmaligen Operation am 29.05.2009 baute der Beklagte sodann die Schlittenprothese aus und brachte eine Ketteneinlage und einen Spacer ein. Nach weiteren Eingriffen im Juni und Juli 2009 wurde die Klägerin in das Universitätsklinikum in B. verlegt. Dort wurde sie vom 16.10. bis zum 30.10.2009 behandelt. Letztlich kam es dann zu einer Versteifung des Kniegelenkes und einer Versorgung mit einer Peronaeus-Schiene.
Die Klägerin führt die Entwicklung auf eine Fehlbehandlung durch die Beklagten zurück. Aufgrund ihrer körperlichen Verhältnisse hätte von Anfang an eine Vollprothese implantiert werden müssen. Die Schlittenprothese sei bei der Operation am 09.02.2009 falsch positioniert worden, weshalb es zu der Lockerung und der Wechseloperation gekommen sei. Auch der Spacer sei bei der Revisionsoperation am 18.03.2009 falsch eingebracht worden, wodurch die Patella-Sehne ihres Knies zerstört worden sei. Schließlich sei ihre Verlegung in die Uniklinik Bonn zu spät erfolgt.
Die Klägerin hat in erster Instanz immateriellen (Schmerzensgeld und Rente) und materiellen Schadensersatz und die Feststellung einer weiteren Ersatzpflicht der Beklagten begehrt. Das LG hat sachverständig beraten die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass eine relative Indikation zur Implantation der Schlittenprothese bestanden habe. Diese sei bei der Ausgangsoperation ebenso behandlungsfehlerfrei eingebaut worden wie der Spacer bei der Revisionsoperation. Der weitere Verlauf mit dem Infekt der Prothese sei schicksalhaft bedingt, das Reißen der Patellasehne durch die Kombination verschiedener Ursachen, insbesondere den Entzündungsprozess, verursacht.
Hiergegen wendet sich die Berufung, mit der die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt, ihr Vorbringen vertieft und ergänzt. Das LG habe sich nicht genügend mit den von ihr vorgelegten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse auseinandergesetzt. Präoperativ hätten weitere Befunde erhoben werden müssen. Da es sich um eine relative Indikation gehandelt habe, hätte abgewogen werden müssen, den Eingriff zeitnah oder erst verzögert nach "Vorbereitung der Patientin" (Gewichtsreduktion) vorzunehmen. Entgegen der Annahme des gerichtlichen Sachverständigen seien sowohl die Schlittenprothese als auch der Spacer nicht korre...