Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiserhebungspflicht im Arzthaftungsprozess; Ersetzung des Sachverständigenbeweises durch Vernehmung ärztlicher Zeugen
Leitsatz (amtlich)
Grundsätzlich ist im Arzthaftungsprozess zu den entscheidungserheblichen medizinischen Streitfragen Sachverständigenbeweis zu erheben. Dass Gericht darf sich in der Regel nicht darauf beschränken, statt eines Sachverständigen sachverständige Zeugen zu hören.
Normenkette
ZPO §§ 372-373, 377 Abs. 3, §§ 402, 404, 404a; BGB §§ 823, 847
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 05.11.2004; Aktenzeichen 10 O 648/02) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 5.11.2004 mit dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG Koblenz zurückverwiesen.
2. Gerichtskosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erheben.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt den Erstbeklagten als Gesellschafter einer in Form der BGB-Gesellschaft betriebenen ärztlichen Notdienstzentrale und den Zweitbeklagten als behandelnden Arzt auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden in Anspruch.
Der 1925 geborene, gesundheitlich vielfältig vorgeschädigte Kläger suchte am 23.12.2000 wegen starker Schmerzen die Notdienstzentrale auf. Der Zweitbeklagte umfasste den Kläger von hinten und hob ihn derart nach oben, dass der Patient mit dem Rücken auf dem Oberkörper des Arztes zu liegen kam.
Nach dem Klagevorbringen entstanden dadurch Sinterungsfrakturen eines Brustwirbelkörpers. Der Kläger behauptet, angesichts der dem Zweitbeklagten mitgeteilten Vorerkrankungen sei die Behandlung (grob) fehlerhaft und darüber hinaus auch nicht von seiner Einwilligung gedeckt gewesen.
Die Beklagten bestreiten, dass die Behandlung eine Fraktur verursacht habe; diese sei vor oder nach dem 23.12.2000 entstanden. Angesichts der starken Schmerzen des Klägers sei von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen.
Das LG hat mehrere Ärzte - teils schriftlich - zum Sachverhalt gehört und die Klage hiernach mit der Begründung abgewiesen, der beweispflichtige Kläger habe nicht nachgewiesen, dass die Fraktur auf der Behandlung vom 23.12.2000 beruhe. Das ergebe sich aus den Bekundungen der sachverständigen Zeugen.
Dagegen richtet sich die Berufung. Der Kläger rügt u.a., dass das LG den von ihm angebotenen Sachverständigenbeweis nicht erhoben hat und beantragt die Zurückverweisung an die erste Instanz.
II. Mit diesem Antrag hat die Berufung einen vorläufigen Erfolg. Das LG hat entscheidungserhebliche Beweisangebote des Klägers übergangen. Dem Urteil fehlt daher eine verlässliche Entscheidungsgrundlage.
1. Die Abweisung der Klage gegen den Erstbeklagten, der den Kläger nicht behandelte, wäre allerdings aus Rechtsgründen richtig, wenn dem Erstbeklagten das behauptete Fehlverhalten des Zweitbeklagten nicht zugerechnet werden könnte. Das LG ist jedoch - ohne dies zu erörtern - zu Recht davon ausgegangen, dass auch der Erstbeklagte haftet, wenn die Behandlung durch den Zweitbeklagten fehlerhaft war. Der Zweitbeklagte war als angestellter Arzt Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfe der BGB-Gesellschaft. Haftet demnach die BGB-Gesellschaft nach §§ 278, 831 BGB für den Zweitbeklagten, ergibt sich die Haftung des Erstbeklagten aus seiner Stellung als Mitgesellschafter.
2. Für seinen Gesundheitszustand vor dem behaupteten Schadensereignis und für den Ablauf der Behandlung vom 23.12.2000 hat der Kläger die Zeugin D. benannt und hieran anknüpfend durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt, dass die Maßnahmen des Zweitbeklagten fehlerhaft gewesen seien.
Daran durfte das LG nicht deshalb vorbeigehen, weil es mehrere sachverständige Zeugen befragt hat. Das kann im Einzelfall ausreichen, wenn die Zeugenaussagen eine hinreichend verlässliche und von den Parteien in der gerichtlichen Schlussverhandlung nicht in Zweifel gezogene Entscheidungsgrundlage bieten. Grundsätzlich ist jedoch im Arzthaftungsprozess auf entsprechenden Antrag Sachverständigenbeweis zu den entscheidungserheblichen medizinischen Fragen zu erheben. Dass das Gericht sich in der Regel nicht darauf beschränken darf, statt eines Sachverständigen sachverständige Zeugen zu hören, ergibt sich aus folgendem:
Es ist nicht Aufgabe eines sachverständigen Zeugen, sondern des Sachverständigen, dem Richter allgemeine Erfahrungssätze oder besondere Kenntnisse des jeweiligen Wissensgebietes zu vermitteln bzw. aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderen Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen. Hinzu kommt, dass in der Regel nur dem Sachverständigen aufgrund des Aktenstudiums die gesamten in sein Fachgebiet fallenden entscheidungserheblichen Details des Sachverhalts bekannt sind. Der Senat, dem seit langem nicht nur Arzthaftungssachen, sondern auch Entschädigungssachen zugewiesen sind, bei denen heute medizinis...