Leitsatz (amtlich)

Wenn der Arzt den Patienten auf die Notwendigkeit einer erneuten Vorsorgeuntersuchung hinweist und ihm dafür einen Zeitkorridor nennt, gibt es in der Regel keine rechtliche Pflicht, den Patienten an die Terminswahrnehmung zu erinnern. Abweichende Fallkonstellationen aufgrund des konkreten Einzelfalles sind allerdings denkbar.

 

Verfahrensgang

LG Trier (Urteil vom 10.02.2010; Aktenzeichen 4 O 217/06)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Trier vom 10.2.2010 - 4 O 217/06, geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am ... 1954 geborene Klägerin befand sich bei der Beklagten zumindest seit dem Jahre 2001 in frauenärztlicher Behandlung. Im September/November 2002 ergab sich ein klärungsbedürftiger Befund der linken Brust, der die Beklagte veranlasste, die Klägerin zur radiologischen Untersuchung (Mammographie) zu schicken. Die Untersuchung vom 4.11.2002 sprach für einen Entzündungsprozess, schloss aber einen "soliden tumorösen Prozesses" nicht aus. In der anschließenden ambulanten Untersuchung bei der Beklagten am 22.11.2002 ergab sich ein Tastbefund, der auch sonographisch bestätigt wurde. Die Durchführung der von dem Radiologen empfohlenen Punktion erbrachte kein flüssiges Material. Die Beklagte empfahl der Klägerin nach den schriftlichen Krankenunterlagen eine Wiedervorstellung in 4 - 6 Wochen und notierte weitere Untersuchungsmaßnahmen. Ob und wie die Beklagte die Klägerin aufklärte, ist streitig. Tatsächlich stellte sich die Klägerin zunächst nicht erneut vor. Die Beklagte ergriff keine weiteren Maßnahmen, um die Klägerin auf die Dringlichkeit einer erneuten Untersuchung und Kontrolle hinzuweisen.

Die Klägerin erschien erstmals wieder im April 2004 in der Praxis der Beklagten. Nach einem auffälligen Tastbefund bestätigten nachfolgende Untersuchungen ein Mammakarzinom. Die linke Brust wurde amputiert. Anschließend unterzog sich die Klägerin einer Chemo- und Strahlentherapie, außerdem einer stationären Behandlung vom 29.04. bis 20.05. 2005.

Die Klägerin wirft der Beklagten vor, Ende 2002 keine Punktion bzw. zytologische Abklärung vorgenommen oder veranlasst zu haben. Auch habe sie keinen Konsilarius hinzugezogen. Weder habe die Beklagte ihr eine Wiedervorstellung empfohlen, noch seien konkrete Termine vereinbart oder sie an eine Terminvereinbarung erinnert worden. Bei rechtzeitiger Befunderhebung wäre eine Streuung des Krebses vermieden worden. Die Krankheit hätte einen wesentlich günstigeren Verlauf genommen. Vor diesem Hintergrund begehrt die Klägerin ein Schmerzensgeld von 150.000 EUR.

Die Beklagte erwidert, im November 2002 habe sie sorgfältig alle differenzialdiagnostischen Erwägungen angestellt und die Klägerin zur notwendigen Kontrolle einbestellt. Dabei habe sie der Patientin auch mitgeteilt, dass der Befund noch unklar sei und es zeitnah weiterer Untersuchungen bedürfe. Dass die Klägerin nicht bzw. erst 15 Monate später zur Nachkontrolle erschienen sei, habe die Patientin selbst zu verantworten. Der Verlauf wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dann nicht anders gewesen, wenn man das Karzinom bereits 2003 entdeckt hätte.

Das LG hat der Klägerin ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR zuerkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Beklagte habe grob fehlerhaft versäumt die Klägerin auf den Tumorverdacht und das Erfordernis einer Nachkontrolle im Januar 2003 hinzuweisen. Bei einer Untersuchung Anfang 2003 hätte sich gezeigt, dass die antibiotische Behandlung erfolglos war, was ein weiterer Hinweis für ein tumoröses Geschehen gewesen wäre. Aus dem schwerwiegenden Versäumnis folgten Beweiserleichterungen zugunsten der Klägerin hinsichtlich der Kausalität für die weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Beklagte habe nicht beweisen können, dass eine frühere Karzinombehandlung den Kausalverlauf nicht beeinflusst hätte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Die Beklagte verteidigt mit der Berufung ihr Behandlungskonzept. Sie habe die Situation nicht verharmlost, sondern sei konsequent vorgegangen und habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass man erst nach der Untersuchung des bei der Punktion entnommenen Materials sagen könne, ob ein "gefährlicher" Befund vorliege. Entsprechend sei die Klägerin zur Nachuntersuchung einbestellt worden. Einen allgemeinen Standard, wonach die Patientin schriftlich, fernmündlich oder persönlich erinnert werde, habe es im Jahre 2002/2003 nicht gegeben. Selbst wenn hierin ein ärztlicher Fehler gesehen werde, handele es sich allenfalls um einen einfachen, nicht aber einen groben Fehler. Eine Kontrolluntersuchung im Januar 2003 hätte zu keinem anderen Behandlungsverlauf geführt, da man selbst nach der optimistischsten Einschätzung das Karzinom frühestens im Mai 2003 hätte feststellen können. Eine Haftung dem Grunde nach...

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