Leitsatz (amtlich)
1.
Zum Vorwegabzug eheprägenden Kindesunterhalts im Rahmen der Bedarfsermittlung beim Ehegattenunterhalt.
2.
Auch bei volljährigen Kindern ist der volle Tabellenbetrag nach der Düsseldorfer Tabelle ohne anteilige Verrechnung des Kindergeldes abzuziehen.
3.
Das wegen Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit fiktiv zugrunde gelegte Einkommen des nicht erwerbstätigen Ehegatten ist nicht um einen tatsächlich nicht geleisteten Haftungsanteil am Barunterhalt des volljährigen Kindes zu vermindern.
Verfahrensgang
AG Bingen am Rhein (Entscheidung vom 12.09.2005; Aktenzeichen 8 F 221/05) |
Tenor
1.
Das Versäumnisurteil des Senats vom 28. März 2006 wird mit folgender Maßgabe aufrechterhalten:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Bingen am Rhein vom 12. September 2005 teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:
Der vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Alzey am 28. Januar 2002 geschlossene Prozessvergleich - 2 F 337/01.EA I - wird dahingehend abgeändert, dass der Kläger nur mehr verpflichtet ist, an die Beklagte nachehelichen Unterhalt ab dem 1. Juni 2005 in Höhe von 507,00 Euro monatlich, ab dem 1. Juli 2005 in Höhe von 495,00 Euro monatlich und ab dem 1. Januar 2006 in Höhe von 489,00 Euro monatlich zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil vom 28. März 2006 aufgehoben und die weitergehende Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger zu 7/20 und die Beklagte zu 13/20.
Die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5; die durch die Versäumnis veranlassten Kosten trägt die Beklagte.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt nach Eintritt der Volljährigkeit der von der Beklagten betreuten gemeinsamen Zwillingskinder A... und V... (*... Mai 1987) die Abänderung eines am 28. Januar 2002 im einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem Amtsgericht Alzey geschlossenen - endgültigen - Prozessvergleichs (Protokoll Bl. 188 - 191 GA).
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Die Ehe der Parteien wurde am 9. Februar 1998 rechtskräftig geschieden; die Scheidungsfolgen wurden umfassend durch Prozessvergleich geregelt. Der Kläger verpflichtete sich zur Zahlung von Ehegattenunterhalt in Höhe von 1.900,00 DM monatlich und von Kindesunterhalt nach der neunten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle; auf den Unterhaltsanspruch der Beklagten wurden 430,00 DM monatlich angerechnet (Amtsgericht Bingen - 7 F 311/97 -; Protokoll Bl. 180 - 184 GA). Durch Prozessvergleich vor dem Amtsgericht Mainz vom 23. August 1998 - 33 F 233/98 - wurde mit Wirkung ab Juli 1999 der Kindesunterhalt auf die zwölfte Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle erhöht und der Ehegattenunterhalt mit Wirkung ab September 1999 bis einschließlich Dezember 2001 auf 1.850,00 DM monatlich festgelegt; die Beklagte ließ sich fiktive Einnahmen in Höhe von mindestens 500,00 DM monatlich anrechnen (Protokoll Bl. 185 - 187 GA).
Der Kläger ist ärztlicher Direktor im Universitätsklinikum; er ist zwischenzeitlich in zweiter Ehe verheiratet. Die Beklagte ist promovierte Sozialpädagogin und hat zusätzlich die Prüfung als Heilpraktikerin abgelegt; von 1982 bis 1987 betrieb sie eine Praxis für psychosoziale und pädagogische Betreuung. Seit der Geburt der gemeinsamen Kinder war die Beklagte nicht mehr erwerbstätig.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 12. September 2005 (Bl. 264 - 268 GA) den Prozessvergleich vom 28. Januar 2002 dahingehend abgeändert, dass der Kläger ab dem 1. Juni 2005 nur noch nachehelichen Unterhalt in Höhe von 486,00 Euro monatlich an die Beklagte zu zahlen hat. Hiergegen richten sich die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers.
Die Beklagte wendet sich, im Besonderen unter Hinweis auf ihr Alter, ihre fehlende Berufserfahrung und die dokumentierten erfolglosen Bewerbungen, gegen die vom Amtsgericht angenommene schuldhafte Verletzung der Erwerbsobliegenheit und hält auch das fiktiv angesetzte - nicht um berufliche Aufwendungen bereinigte - Nettoeinkommen für übersetzt; in jedem Fall aber sei dieses im Hinblick auf die mit Beginn der Volljährigkeit der Kinder bestehende Barunterhaltspflicht beider Elternteile weiter um einen auch auf ihrer Seite anzusetzenden - fiktiven - Haftungsanteil (14,25 v.H. aus einem nach dem zusammengerechneten Erwerbseinkommen der Eltern zu bestimmenden Unterhaltsbedarf der volljährigen Kinder von jeweils 670,00 Euro abzüglich des Kindergeldes) zu kürzen. Die Zurechnung eines Wohnvorteils wegen des von...