Leitsatz (amtlich)
1. Durch den Weiterverkauf eines von der Manipulation des Motors EA 189 betroffenen Fahrzeugs fällt der Schaden des Fahrzeugkäufers nicht weg. Zwar kann sich der Fahrzeugkäufer aufgrund der Weiterveräußerung einiger Folgen des ungewollten Vertragsschlusses, namentlich dem Eigentum und dem Besitz am erworbenen Fahrzeug, gegen Kaufpreiserlös entledigen. Damit wird der ungewollte Vertragsschluss aber nicht zwingend vollständig kompensiert (entgegen: OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019, 17 U 70/19, juris, BeckRS 2019, 29885 Rn. 20, 22 und OLG Celle, Urteil vom 19.02.2020, 7 U 424/18, BeckRS 2020, 6243 Rn. 10).
2. Es wäre unbillig, den geschädigten Käufer in diesen Fällen mit dem Risiko eines Verkaufserlöses zu belasten, der - möglicherweise manipulationsbedingt - unterhalb des auf Basis des § 826 BGB zu erzielenden Rücknahmepreises liegt (in Anknüpfung an: OLG Stuttgart, Urteil vom 29.09.2020, 12 U 449/19, juris Rn. 33; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2020, 13 U 326/19, juris Rn. 23). Denn andernfalls wäre der Käufer gehalten, das vom Abgasskandal betroffene Fahrzeug bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses gegen den Fahrzeughersteller zu behalten und somit ein weiteres Mal in seiner Dispositionsfreiheit beeinträchtigt.
3. Die Berechnung des Schadensersatzanspruchs nach §§ 826, 31 BGB hat bei Weiterverkauf des betroffenen Fahrzeugs in der Weise zu erfolgen, dass der Kläger den gezahlten Kaufpreis abzüglich des von ihm zu erstattenden Nutzungsausgleichs für die gefahrenen Kilometer sowie des erzielten Weiterverkaufserlöses beanspruchen kann (in Anknüpfung an: OLG Stuttgart, Urteil vom 29.09.2020, 12 U 449/19, juris Rn. 33; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2020, 13 U 326/19, juris Rn. 25).
4. Ein Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB ist nur dann zu prüfen, wenn der Kläger dazu vorgetragen hat, dass und in welcher Höhe die Beklagte, die nicht Verkäuferin des Fahrzeugs war, etwas aus dem Fahrzeugverkauf erlangt hat (in Anknüpfung an BGH, Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20 - Rn. 29). Ein erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren gehaltener Vortrag ist gemäß §§ 525 Satz 1, 296a Satz 1 ZPO nicht berücksichtigungsfähig. Er ist im Übrigen auch unschlüssig, wenn der Kläger zum entscheidenden Punkt lediglich pauschal ausführt, dass die Beklagte durch den wissentlichen Verkauf mehrerer Millionen manipulierter Fahrzeuge ihr Vermögen gemehrt habe und das Erlangte der Betrag sei, den er, der Kläger, für den Kauf des manipulierten Fahrzeugs bezahlt habe.
Normenkette
BGB §§ 826, 852
Verfahrensgang
LG Trier (Aktenzeichen 5 O 610/19) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Trier - Einzelrichter - vom 05.08.2020, Az.: 5 O 610/19, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der hilfsweise auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Antrag als unzulässig verworfen und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 14.305,88 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal nach Weiterverkauf des betroffenen Fahrzeugs Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz sowie des Weiterverkaufserlöses, hilfsweise Zahlung eines täuschungsbedingten Minderwerts seines Fahrzeugs und die Feststellung der weitergehenden Schadensersatzpflicht der Beklagten.
Der Kläger erwarb von einem Kfz-Händler den von der Beklagten hergestellten VW Golf mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer W als Neuwagen, der ihm am 09.12.2011 übergeben wurde. In das Fahrzeug war ein ebenfalls von der Beklagten hergestellter 1,6 l-Motor des Typs EA 189 eingebaut.
Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der verbaute Motortyp enthält eine Software, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Dadurch ergeben sich auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für die Erteilung der Typengenehmigung war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend.
Ab September 2015 wurde - ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 - über den Abgasskandal betreffend Motoren vom Typ EA 189 und nicht nur Fahrzeuge der Beklagten, sondern des gesamten V-Konzerns, in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Zeitgleich mit der Pressemitteilung veröffentlichte die Beklagte eine aktienrechtliche ad hoc-Mitteilung und informierte sie ...