Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärung über das Risiko einer Nervschädigung muss sich auch auf die Möglichkeit eines Dauerschadens erstrecken; Schmerzensgeldbemessung bei Stimmbandlähmung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Aufklärung über die Gefahr der Recurrensparese vor einer diagnostischen Lymphknotenentfernung aus dem Hals ist unvollständig, wenn dem Patient nicht verdeutlicht wird, dass es auch zu einer dauerhaft persistierenden Stimmband- lähmung kommen kann.
2. Ist über einen möglichen Dauerschaden nicht aufgeklärt worden, kann die Behandlungsseite eine mutmaßliche oder hypothetische Einwilligung nicht daraus herleiten, dass der Patient ein nach Auffassung des Arztes weitaus gravierenderes Risiko akzeptiert hat.
3. 15.000 EUR Schmerzensgeld sind angemessen für eine persistierende Stimm- bandlähmung, die zu vorübergehender Berufsunfähigkeit, mehreren Kranken- hausaufenthalten und dem Erfordernis einer engmaschigen ambulanten Nachbe- handlung führt, ohne dass das Sprechvermögen umfassend wiederhergestellt werden kann.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 278, 280, 611, 823, 831; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
LG Mainz (Urteil vom 16.03.2012; Aktenzeichen 2 O 2/10) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 16.3.2012 unter Zurückweisung des weiter greifenden Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
a. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 15.000 EUR sowie weitere 1.466,14 EUR zu zahlen, jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.2.2010.
b. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben zu tragen
Die Klägerin 34,24 %,
der Beklagte 65,76 %
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die 1957 geborene Klägerin, Telefonistin von Beruf, nimmt den beklagten Chirurg auf Zahlung materiellen und immateriellen Schadensersatzes sowie Erstattung von Anwaltskosten wegen der Folgen einer Operation vom 28.2.2006 in Anspruch. Sie lastet ihm an, am Vortag des diagnostischen Eingriffs im Halsbereich vom Assistenzarzt, dem Zeugen Dr. N., zur Unzeit und außerdem nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, dass eine bleibende Stimmbandlähmung eintreten könne. Infolge dieser Komplikation sei sie dauerhaft erheblich beeinträchtigt; insbesondere könne sie ihren Beruf nicht mehr ausüben.
Der Beklagte verweist auf das Einwilligungsformular für den ärztlichen Eingriff, das die handschriftliche Eintragung "Verletzung des nervus recurrens - Stimmband - Parese" enthält. Alle erforderliche weiteren Informationen habe der Assistenzarzt mündlich erteilt.
Das LG hat zum Aufklärungsgespräch die Klägerin angehört und den Assistenzarzt Dr. N. als Zeugen befragt. Daneben hat der Einzelrichter Sachver- ständigenbeweis erhoben und das schriftliche Gutachten mündlich erläutern lassen. Hiernach hat er die Klage mit der Begründung abgewiesen, Zeitpunkt und Inhalt der Aufklärung der Patientin seien nicht zu beanstanden.
Dagegen richtet sich die Berufung, mit der die erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt werden. Die Klägerin wiederholt, vertieft und ergänzt ihr Vorbringen zum Zeitpunkt und Inhalt des Aufklärungsgesprächs.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Dr. N. habe das Risiko nicht verharmlost. Hilfsweise stützt der Beklagte sich auf eine hypothetische Einwilligung der Patientin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Krankenakten der Universitätsklinik Mainz verwiesen.
Der Senat hat Dr. N. als Zeugen und die Klägerin als Partei zum Aufklärungsgespräch angehört; insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.11.2012 Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat einen Teilerfolg.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Schmerzensgeldanspruch wegen schuldhafter Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages, aber auch aus unerlaubter Handlung zu (§§ 611, 276, 278, 831, 253 BGB), weil nicht festgestellt werden konnte, dass der Zeuge Dr. N. die Klägerin im erforderlichen Maße über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt hat, der daher nicht von einem wirksamen Einverständnis der Klägerin getragen war. Die Operation war auch nicht durch eine mutmaßliche oder hypothetische Einwilligung der Patientin gedeckt. Der Beklagte schuldet daher wegen des Versäumnisses seines Assistenzarztes (§§ 278, 831 BGB) ein Schmerzensgeld für die Beeinträchtigungen der Klägerin aufgrund des Eingriffs.
Daneben hat der Beklagte einen ebenfalls zu verzinsenden materiellen Schadensersatz von 1.466,14 EUR zu leisten. Soweit das LG im Übrigen Ansprüche auf materiellen Schadensersatz verneint hat, scheitert die Berufung.
1. Zum Schmerzensgeld:
a. Zum Ablauf der Aufklärung ist festgestellt und zu würdigen, dass es zwei Gespräche mit dem chirurgischen Assistenzarzt Dr. N. gab.
Beim ersten Gespräch wurde die vorgesehene Maßnahme (Lymphknotenentfernung) dargestellt, wobei die im Vordruck "Einwilligungserk...