Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Haftung des Gynäkologen bei Verzögerung eines Kaiserschnitts um 1 ½ Stunden und Dokumentationslücken
Leitsatz (amtlich)
1. Die Überschreitung des errechneten Geburtstermins um 9 Tage, der Wunsch der Schwangeren nach einer zunächst nicht indizierten sectio, die erst später erforderlich, dann jedoch mit 90-minütiger Verspätung durchgeführt wird, rechtfertigen weder einzeln noch in der Gesamtschau den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers, wenn jeder greifbare Anhalt fehlt, dass die Schädigung des Kindes unmittelbar vor oder unter der Geburt eingetreten ist.
2. Die Rüge von Dokumentationsmängeln ist im Arzthaftungsprozess nur erheblich, wenn sie mit der Behauptung eines bestimmten dokumentationspflichtigen Vorgangs einhergeht.
3. Eine versäumte Befunderhebung hat nur dann rechtserhebliches Gewicht, wenn im Einzelfall mit einem so schwerwiegenden Befund gerechnet werden konnte, dass sich seine Verkennung als fundamental oder seine Negierung als grob fehlerhaft darstellen würde.
Normenkette
BGB §§ 249, 276, 278, 611, 823, 847; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 04.05.2006; Aktenzeichen 6 O 64/97) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Trier vom 4.5.2006 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann jedoch die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht auf Beklagtenseite Sicherheit in entsprechender Höhe gestellt wird.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin kam am 23.3.1994 um 20.57 Uhr nach einem Kaiserschnitt unter Verantwortung des Beklagten zu 1) in dem Krankenhaus der Beklagten zu 3) zur Welt. Ihre Mutter war dort am Vortag aufgenommen worden. Sie hatte bereits eine Schnittentbindung hinter sich und wünschte deshalb von vornherein eine Sectio. Dafür sah man allerdings im Krankenhaus anfänglich keine Indikation und strebte eine Vaginalgeburt an.
Im Aufnahmezeitpunkt war der errechnete Geburtstermin um 9 Tage überschritten. Die Kindsmutter war wehenfrei. Das CTG zeigte eine leichte Bradykardie, die auch schon früher festgestellt worden war. Am 23.3.1994 setzten kurz nach Mitternacht die Wehen ein, die sich im weiteren Verlauf verstärkten, so dass sich die Mutter am Mittag im Kreißsaal meldete. Die Bradykardie hielt unterdessen an. Als der Beklagte zu 1) die Mutter um 14.35 Uhr untersuchte, befundete er einen Blasensprung unter Abgang klaren Fruchtwassers. Bis 17.00 Uhr war praktisch kein Geburtsfortschritt zu verzeichnen.
Um 17.34 Uhr kam es zu einer Dezeleration der kindlichen Herzfrequenz, der die anwesende Ärztin unter Absetzung des wehenfördernden Mittels Oxytocin durch die Vergabe von Partusisten begegnete. Nach 5 ½ Minuten hatten sich die Verhältnisse wieder normalisiert. Als der Beklagte zu 1) um 18.55 Uhr erschien, stellte er bei Abgang weiteren klaren Fruchtwassers einen Geburtsstillstand fest und ordnete die Vorbereitung einer Sectio an, zu der er sich um 19.50 Uhr definitiv entschied. Nach dem Vorbringen der Klägerin war das CTG mittlerweile schon längerfristig pathologisch. Schließlich wurde um 20.00 Uhr vorbereitend zu dem operativen Eingriff eine Peridural-Anästhesie eingeleitet.
Auf Beklagtenseite dokumentierte man postpartal einen maximalen Apgar und gute pH-Werte. Die Klägerin hat die Richtigkeit dieser Befundung in Abrede gestellt und eine Blaufärbung ihrer Extremitäten, eine körperliche Schwäche sowie Drucktraumata behauptet.
Die nachgeburtliche Entwicklung der Klägerin war retardiert. Dabei traten namentlich Beeinträchtigungen in der Motorik, in der Sprachfertigkeit, dem Sehvermögen und bei der Stabilisierung des Kopfes auf. Dafür macht die Klägerin die Beklagten verantwortlich. Sie hätten die Entbindung viel zu lange hinausgezögert, so dass es erkennbar zu einem schädigenden Sauerstoffmangel gekommen sei. Es sei von vornherein angezeigt gewesen, eine Sectio durchzuführen, wie sie ihre Mutter gewünscht habe.
Im Hinblick darauf hat die Klägerin beantragt, die Beklagten zu 1) und zu 3) sowie das - rechtlich nicht eigenständige - Krankenhaus, das sie als Zweitbeklagte in Anspruch genommen hat, zur Zahlung eines mit 150.000 DM bezifferten Schmerzensgelds und einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 800 DM bis einschließlich März 2010 zu verurteilen sowie deren weitergehende immaterielle und materielle Ersatzpflicht festzustellen. Das LG hat mehrere Zeugen gehört und verschiedene Sachverständigengutachten eingeholt. Sodann hat es die Klage - im Verhältnis zur Beklagten zu 2) bereits als unzulässig und im Übrigen als unbegründet - abgewiesen. Es hat keine hinreichenden Hinweise für eine von den Beklagten zu 1) und zu 3) zu verantwortende perinatale Schädigung der Klägerin gesehen. Beweiserleichterungen zu deren Gunsten hat es verneint, da kein grober ärztlicher Fehler unterlaufen sei.
Diese Entscheidung greift die Klägerin in Erneuerung ihres Verl...