Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 15 O 60/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 19.10.2022 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 6.040,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.01.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 51 % und der Beklagte 49 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 71 % und der Beklagte 29 %.
4. Das Urteil und - soweit die Berufung zurückgewiesen wird - das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 9.029,56 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Darstellung tatsächlicher Feststellungen bedarf es nicht, weil ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. §§ 543, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Beschwer beider Parteien überschreitet nicht 20.000 Euro.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache einen Teilerfolg.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten unter Anrechnung der bereits geleisteten Zahlungen ein Anspruch auf Zahlung von 6.040,58 Euro aus §§ 675, 611, 612 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 1, 2, 14 RVG aus der Rechnung vom 14.12.2020 (Anlage K2 zur Klageschrift vom 19.05.2021, Bl. 1 ff. eAkte LG) zu.
Zwischen den Parteien ist ein Rechtsanwaltsvertrag (§§ 611, 675 BGB) geschlossen worden, der die anwaltliche Beratung des Beklagten in einer familienrechtlichen Angelegenheit (einvernehmliche Gesamtregelung nach der Trennung von der Ehefrau) zum Gegenstand hatte. Die Klägerin ist daher berechtigt, die unstreitig erbrachte anwaltliche Leistung auf Grundlage einer Geschäftsgebühr in Höhe von 1,8 zu einem Gegenstandswert von 917.600,- Euro (hierzu Ziffer 1.) sowie eine 1,5 Einigungsgebühr aus einem Gegenstandswert in Höhe von 102.600,- Euro (hierzu Ziffer 2.) abzurechnen.
1. Bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG obliegt dem Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG die Bestimmung der Höhe der Gebühr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Hierbei sind für die Bemessung vor allem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers von Belang. Auch ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Übt der Rechtsanwalt das durch die Vorschrift eingeräumte Ermessen aus, nimmt er ein Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung im Sinne von § 315 BGB wahr (BGH, NJW 1987, 3203; OLG Frankfurt, Urteil vom 07.02.2020 - 27 U 1/16, Rn. 58, juris; HK-RVG/Winkler, 8. Aufl. 2021, RVG § 14, Rn. 6; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 22. Auflage, RVG § 14, Rn. 4 m.w.N.).
Vorliegend ist nach den Umständen des Einzelfalls der Ansatz einer 1,8 Gebühr gerechtfertigt.
a) An das Ergebnis des eingeholten Gutachtens der Rechtsanwaltskammer vom 13.05.2023 (Bl. 28 ff. eAkte) ist der Senat bei der Bemessung der der Klägerin zustehenden Gebühren nicht gebunden. Zwar hat das zur Entscheidung berufene Gericht im Rechtsstreit zwischen Auftraggeber und Mandanten nach § 14 Abs. 3 RVG ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Sinn dieser Regelung ist es, den Sachverstand und die Erfahrung der Rechtsanwaltskammern zur Frage der Angemessenheit der Gebühren fruchtbar zu machen (BGH, Urteil vom 25.09.2008 - IX ZR 133/07, NJW 2008, 3641; BT-Dr 15/1971, S. 190; vgl. auch BeckOK-RVG/v. Seltmann, Stand: 01.09.2021, § 14, Rn. 57). Das Gericht ist hierbei jedoch an das Ergebnis des eingeholten Gutachtens nicht gebunden (BGH, Urteil vom 25.09.2008, a.a.O.; Winkler in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, § 14 RVG Rn. 77 m.w.N.). Es kann vielmehr sein eigenes Beurteilungsermessen ausüben, solange bei der Beurteilung von Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zutreffende Maßstäbe - auch für eine Differenzierung des anwaltlichen Leistungsbildes innerhalb derselben abstrakten Gebührenangelegenheit - angewendet worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2003 - IX ZR 109/00, NJW 2004, 1043; BGH, Urteil vom 25.09.2008, a.a.O.).
b) Ausgehend von einer Schwellen(- oder Regel)Gebühr von 1,3, deren Ansatz bei jeder durchschnittlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts gerechtfertigt ist, hat der Senat bei der Frage, ob die Tätigkeit der Klägerin eine solche (überdurchschnittlicher Art) darstellte, die den Ansatz einer höheren Gebühr rechtfertigt, im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens im Einzelnen folgende Aspekte berücksichtigt:
aa) Der Umfang der durch die Klägerin ausgeübten Tätigkeit ist als überdurchschnittlich zu werten. Im Wesentlichen bezieht sich dieser Begriff auf den tatsächlichen zeitlichen Aufwand des Anwalts bei der Bearbeitung des konkreten Mandates, ...