Leitsatz (amtlich)
Feststellung der Verhandlungsfähigkeit eines wegen Ermordung von drei niederländischen Staatsbürgern im Jahre 1944 angeklagten 87-jährigen früheren SS-Angehörigen trotz schwerer Herzerkrankung.
1. Für die strafrechtliche Verhandlungsfähigkeit genügt es grundsätzlich, dass der Angeklagte die Fähigkeit hat, in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen, Prozeßerklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen.
2. Soweit sich aus dem Alter und/oder der geringen körperlichen Belastbarkeit des Angeschuldigten Einschränkungen der Verhandlungsfähigkeit ergeben, kann dem durch angepaßte Verhandlungsführung (etwa Pausen, Unterbrechungen, ärztliche Betreuung) begegnet werden.
Tenor
Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird die Anklage der Staatsanwaltschaft D. vom 14.04.2008 zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Landgericht A. - Schwurgerichtskammer - eröffnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeschuldigte, der auch die dem Nebenkläger hierin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Gründe
I.
Der 87-jährige Angeschuldigte ist, nachdem ein früheres Ermittlungsverfahren im Jahre 1984 eingestellt worden war und der Senat den Antrag der Niederlande auf Übernahme der Vollstreckung der gegen ihn in Abwesenheit durch Urteil eines niederländischen Gerichts im Jahre 1949 verhängten, später in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelten Todesstrafe mit Beschluß vom 03.07.2007 - 2 Ws 156/07 - wegen Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards (der Angeschuldigte war vor dem Sondergerichtshof in Amsterdam nicht durch einen Verteidiger vertreten) abgelehnt hat, mit Anklageschrift der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 14.04.2008 vor dem Schwurgericht in Aachen wegen Ermordung von drei niederländischen Staatsbürgern im Jahre 1944 angeklagt worden. Die Tötungsdelikte waren im Rahmen der sog. Aktion "Silbertanne" von der deutschen Besatzungsmacht als "Vergeltungsmaßnahmen" gegen Widerstandsaktionen der niederländischen Untergrundsbewegung begangen worden.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Schwurgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, das durch den Direktor des Herzzentrums der Universität Köln, Herrn Prof. Dr. E. unter dem 06.12.2008 erstattet und mit Schreiben vom 18.12.2008 ergänzt wurde, die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen wegen eines aufgrund dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten angenommenen Verfahrenshindernisses abgelehnt.
Der Sachverständige hat das Ergebnis seiner Untersuchungen wie folgt zusammengefasst :
"Bei Herrn B. liegt eine fortgeschrittene chronisch, progressiv verlaufende kardiopulmonale Erkrankung - schwerste chronische (Ruhe)-Herzinsuffizienz basierend auf einer koronaren Herzerkrankung und arteriellen Hypertonie - mit hoher Mortalitätsrate vor. Die funktionelle Belastungskapazität und damit die physischen Eigenschaften von Herrn B. werden als schwer eingeschränkt eingestuft. Durch psychische Belastungssituationen, wie z.B. im Rahmen einer Verhandlung, kann eine akute kardiale Dekompensation bis hin zum Herz-Kreislaufversager induziert werden. In Anbetracht des multimorbiden Gesamtbildes (siehe oben) mit deutlich erhöhter Mortalität und erhöhtem gesundheitlichen Risiko während einer Verhandlung meinen wir, dass eine Verhandlungsfähigkeit nicht gegeben ist."
Auf Nachfrage des Schwurgerichts zu einer ggfs eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit hat der Sachverständige mit Schreiben vom 18.12.2008 folgendes ausgeführt :
"Ihre Frage, ob eine Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich vorliegen würde, oder ob der Zustand von Herrn B. eine Verhandlungsdauer von einer oder wenigen Stunden pro Verhandlungstag zulassen würde kann ich folgendermaßen beantworten:
Herr B. leidet an einer schweren koronaren Herzerkrankung mit Z. n. Herzinfarkt im April 2008 mit jetzt ausgeprägter Herzinsuffizienz Stadium IV und Z. n. mehrfachen Dekompensationen sowie der Notwendigkeit einer Langzeitsauerstofftherapie neben vielen anderen Erkrankungen, die wir in unserem Gutachten festgelegt haben. Unter meiner Aufsieht konnte Herr B. nur 65 Meter zu ebener Erde mit Hilfeleistung gehen und musste wegen Luftnot viermal seinen Gang unterbrechen und stehen bleiben. In dieser Situation, bei schwerer koronarer Herzerkrankung und Z. n. Herzinfarkt in diesem Jahr ist keine Verhandlungsfähigkeit gegeben. Der Patient ist ruhedyspnoeisch und benötigt permanent Sauerstoff. Jede Aufregung, die er im übrigen wahrscheinlich tolerieren würde, kann zu einer erneuten Dekompensation führen."
Dieser Beurteilung hat sich das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung angeschlossen, gegen die die Staatsanwaltschaft sowie der Nebenkläger jeweils sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsätzen vom 23.01.2009 bzw. vom 04.02.2009 begründet haben. Der Nebenklä...