Leitsatz (amtlich)

Die Einhaltung der Schulpflicht dient nicht allein öffentlichen Interessen, sondern auch dem Kindeswohl, weil dem Kind durch den Schulbesuch das Erlernen bestimmter sozialer Kompetenzen, aber auch der Erwerb formaler Bildungsabschlüsse ermöglicht wird, von dem künftige Lebenschancen abhängen. Von daher steht die Absicht der Kindeseltern, in ein Land ohne Schulpflicht auswandern zu wollen, einer Sorgerechtsentziehung wegen beharrlicher Schulverweigerung nicht zwingend entgegen (Abgrenzung zu OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.8.2014 - 6 UF 30/14 -, FamRZ 2014, 1857).

 

Verfahrensgang

AG Waldbröl (Beschluss vom 11.03.2013; Aktenzeichen 12 F 307/12)

 

Tenor

In Abänderung des Beschlusses des AG - Familiengericht - Waldbröl vom 11.3.2013 (12 F 307/12) sowie unter Aufhebung des Anordnungsbeschlusses des AG - Familiengericht - Waldbröl vom 20.11.2012 (12 F 307/12) werden das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Regelung von schulischen Angelegenheiten für die betroffenen Kinder P, geboren am 0.0.1998, K, geboren am 0.0.2001, D, geboren am 0.0.2004, U, geboren am 0.0.2006 auf die Kindeseltern zurückübertragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Da keines der schulpflichtigen beteiligten Kinder die Schule besuchte, hat das AG Waldbröl den Kindeseltern durch einstweilige Anordnung vom 20.11.2012 (12 F 307/12) für die Kinder P, K, D, U, I und N das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung der gesundheitlichen Angelegenheiten, das Recht zur Regelung von schulischen Angelegenheiten und Kindergartenangelegenheiten sowie das Recht Anträge auf Hilfe zur Erziehung zu stellen, entzogen. Zuvor hatte es den Kindeseltern bereits teilweise die elterliche Sorge für K entzogen (12 F 76/12), was der Senat durch Beschluss 30.11.2012 (II-4 UF 177/12) bestätigte. Durch den angefochtenen Beschluss hat das AG unter Aufhebung der aus seinem Beschluss vom 20.11.2012 folgenden weiter gehenden Eingriffe in die elterliche Sorge im Übrigen den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Regelung von schulischen Angelegenheiten für die Kinder P, K, D und U entzogen und Ergänzungspflegschaft angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beharrliche Weigerung der Kindeseltern, ihre schulpflichtigen Kinder einer öffentlichen allgemeinen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, stelle einen Missbrauch der elterlichen Sorge dar, der das Wohl der betroffenen Kinder nachhaltig gefährde und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB erfordere. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindeseltern. Im Verhandlungstermin vor dem Senat 28.1.2014 haben sich die Kindeseltern bereit erklärt, ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken. Alle vier in der Beschwerde noch am Verfahren beteiligten Kinder besuchen seit Februar 2014 die Schule und nehmen regelmäßig am Schulunterricht teil. K und P besuchen die Hauptschule in S, U besucht die Grundschule in X, wo er aktuell die zweite Schulklasse wiederholt. D besucht die Realschule, auf die er zwischenzeitlich von der Grundschule wechselte. Auch das weitere nicht mehr verfahrensbeteiligte Kind I ist zwischenzeitlich eingeschult worden.

II. Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere fristgerecht eingereichte Beschwerde der Kindeseltern hat aufgrund der in der Beschwerdeinstanz eingetretenen Veränderungen Erfolg. Der erfreulichen Entwicklung in der Beschwerdeinstanz Rechnung tragend, sind den Kindeseltern die entzogenen Teile der elterlichen Sorge zurückzuübertragen. Im Einzelnen:

1. Das Gericht hat nach § 1666 Abs. 1 BGB die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um eine festgestellte Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes abzuwenden. Voraussetzung für ein Eingreifen ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BGH, Beschl. v. 26.10.2011 - XII ZB 247/11, FamRZ 2012, 99, Rz. 25).

a) Die sich daraus ergebenden Anforderungen für eine Gefährdung des Kindeswohls hat die angefochtene Entscheidung durchaus berücksichtigt. Das AG hat zu Recht die seinerzeit beharrliche Weigerung der Kindeseltern, ihre schulpflichtigen Kinder der öffentlichen allgemeinen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, als Missbrauch der elterlichen Sorge, der das Wohl der betroffenen Kinder nachhaltig gefährdet, beurteilt und den Kindeseltern den oben genannten Teil der elterlichen Sorge entzogen. Denn ein Verstoß gegen die gem. § 34 SchulGNW bestehende Schulpflicht rechtfertigt nicht nur Eingriffe in Teilbereiche des Sorgerechts der Eltern (vgl. BGH, Beschl. v. 17.10.2017 - XII ZB 42/07, FamRZ 2008, 45, juris Rz. 13), sondern ermöglicht dem Landesgesetzgeber auch strafrechtliche Sanktionierung...

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