Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im Insolvenzverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Von einer gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässigen Aufrechnung kann bereits dann ausgegangen werden, wenn ein Insolvenzgläubiger eine Aufrechnungslage anfechtbar ausnutzt. Dies ist der Fall, wenn eine vergleichbare Erfüllung im Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage vor Verfahrenseröffnung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 129 ff. InsO anfechtbar wäre.
2. Es gibt keinen allgemein gültigen Grundsatz des Inhalts, wonach die Kenntnis eines Gläubigers, dass ein Schuldner zu einem bestimmten Zeitpunkt zahlungsunfähig ist, stets verneint werden muss, wenn die Organe des Schuldners in dem fraglichen Zeitpunkt subjektiv davon überzeugt sind, noch zahlungsfähig zu sein.
3. Bestreitet der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit der Schuldners oder sonstige für die Anfechtung relevante Umstände im Berufungsrechtszug, obwohl nach den Feststellungen im Tatbestand des angegriffenen Urteils die Zahlungsunfähigkeit bzw. die sonstigen Umstände unstreitig gewesen sind, handelt es sich um neuen Vortrag i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO. Die Zulassung dieses Vortrags lässt sich nicht damit begründen, dass das erstinstanzliche Gericht einen Tatbestandsberichtigungsantrag zu Unrecht abgelehnt habe. Wenn eine Möglichkeit der Tatbestandsberichtigung eröffnet gewesen ist, bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Art. 103 Abs. 1 GG) gegen die Bindung des Berufungsgerichts an die Feststellungen in dem Tatbestand des angegriffenen Urteils.
4. Bei Vorliegen der gem. § 301 ZPO für ein Teilurteil erforderlichen Voraussetzungen kann eine Berufung auch teilweise durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden.
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten vom 22.7.2003 gegen das am 24.6.2003 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Bonn - 11 O 151/01 - wird zurückgewiesen, soweit die Beklagte zur Zahlung eines Betrages i.H.v. 17.516.283,96 Euro verurteilt worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Der Senat weist die Berufung durch einstimmigen (Teil)-Beschluss gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurück, soweit das LG die Beklagte in der Hauptsache zur Zahlung eines Betrages von 17.516.283,96 Euro verurteilt hat. Über den vom LG zuerkannten Zinsanspruch kann dagegen erst nach mündlicher Verhandlung vor dem Senat entschieden werden.
1. Dass und warum die Berufung hinsichtlich der Verurteilung in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO), ist durch den Senat im Einzelnen in dem den Parteien bekannten Beschluss vom 14.1.2004 dargelegt worden. Hiernach beruht die Entscheidung des LG weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO der Berufungsentscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Der Senat hält an den Ausführungen in dem Hinweisbeschluss auch nach erneuter Beratung und unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Beklagten vom 25.2.2004 fest und nimmt hierauf sowie auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Urteil Bezug. Die Stellungnahme der Beklagten veranlasst keine abweichende Beurteilung.
a) Zugunsten der U.-AG (in folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen der Kläger durch Beschluss des AG Marburg/Lahn vom 1.6.2001 zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist, ist aufgrund des am 10./15.7.1998 geschlossenen Fakturierungs- und Inkassovertrages ein Zahlungsanspruch i.H.v. 34.258.873,65 DM (= 17.516.283,96 Euro) entstanden und auch fällig, weil die in Ziff. 2. 2 des Vertrages vorgesehene Voraussetzung (Fälligkeit 30 Tage nach Rechnungseingang) erfüllt ist. Die - unstreitige - Gesamtforderung setzt sich aus insgesamt 8 Teilforderungen zusammen:
Rechnung vom 28.2.2001 (Zugang: 12.3.2001): 6.483.492,30 DM
Rechnung vom 21.3.2001 (Zugang: 23.3.2001): 7.692.519,88 DM
Rechnung vom 2.4.2001 (Zugang: 5.4.2001): 10.743.559,15 DM
(Soweit in dem angegriffenen Urteil als Rechnungsdatum der 30.3. angeführt wird, handelt es sich um ein offensichtliches, wie sich aus der Anlage K 4c zur Klageschrift ergibt).
Rechnung vom 19.4.2001 (Zugang: 26.4.2001): 2.966.273,83 DM
Rechnung vom 7.5.2001 (Zugang: 8.5.2001): 1.283.187,33 DM
Rechnung vom 21.5.2001 (Zugang: 22.5.2001): 2.599.640,87 DM
Rechnung vom 11.5.2001: 264.068,23 DM
(Soweit in dem Klageerweiterungsschriftsatz des Klägers vom 21.6.2001 als Rechnungsdatum der "21.5.2001" aufgeführt ist, handelt es sich um ein offensichtliches Versehen - siehe Anlage K 8)
Rechnung vom 7.6.2001 (Zugang: 11.6.2001): 2.226.132,06 DM
Gesamtforderung: 34.258.873,65 DM
b) Dieser Anspruch der Schuldnerin ist nicht durch die von der Beklagten durch Schreiben vom 12.6. und 7.9.2001 erklärte Aufrechnung gem. § 389 BGB erloschen. Zwar hat die Beklagte aus der zwischen den Parteien geschlossenen Zusamme...