Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungswidrigkeitenrecht. Straßenverkehrsrecht
Leitsatz (amtlich)
Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).
Normenkette
StVO § 3
Tenor
I.
Die Sache wird durch den Rechtsunterzeichner als Einzelrichter dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zu erneuter Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Gummersbach zurückverwiesen.
Gründe
A.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit der angefochtenen Entscheidung wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (scil.: innerhalb geschlossener Ortschaften) zu der Geldbuße von 185,-- € verurteilt und ihm - mit Gestaltungsmöglichkeit gemäß § 25 Abs. 2a StVG - für einen Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Betroffene am 20. Oktober 2020 gegen 0:45 Uhr in A die innerorts gelegene Kölner Straße über eine Strecke von 1.200 m mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 84 km/h befuhr. Die Überzeugung von diesem Verstoß hat sich das Tatgericht auf der Grundlage der Angaben von drei polizeilichen Zeugen verschafft, die dem von dem Betroffenen geführten Fahrzeug mit einem zivilen Fahrzeug über die genannte Strecke in einem Abstand von 60-70 m gefolgt sind und währenddessen von dem nicht justierten Tachometer eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 105 km/h abgelesen haben. Die vorwerfbare Geschwindigkeit von 84 km/h hat das Tatgericht sodann im Wege eines Toleranzabzugs von 20% ermittelt.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen rügt die Verletzung materiellen Rechts.
B.
I.
Die Sache war durch den Rechtsunterzeichner als Einzelrichter gemäß § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthafte, Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsbeschwerde erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
1.
Dass der Betroffene die innerorts höchstzulässige Geschwindigkeit überschritten hat, steht aufgrund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung fest. Die hiergegen geführten Angriffe der Rechtsbeschwerde gehen aus den von der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend dargelegten Gründen fehl. Dass - wie nachfolgend darzulegen sein wird - möglicherweise von einem geringeren als vom Tatgericht angenommenen Schuldumfang auszugehen ist, berührt den Schuldspruch nicht (SenE v. 13.02.2009 - 83 Ss-OWi 15/09). Soweit sich das Rechtsmittel daher gegen diesen richtet, ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2.
Die Urteilsgründe belegen demgegenüber nicht, dass die Rechtsfolgenbemessung in jeder Hinsicht auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht (§ 337 StPO). Das hat Bedeutung namentlich für die Anordnung des Fahrverbots.
a)
aa)
Das Tatgericht hat von der abgelesenen Geschwindigkeit einen Toleranzabzug von 20% (= 21 km/h) vorgenommen und ist so zu der vorwerfbaren Geschwindigkeit von 84 km/h gelangt. Im Falle der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Polizeifahrzeug mit nicht justiertem Tachometer entspricht dieser Toleranzabzug der Rechtsprechung der meisten Oberlandesgerichte, die sich zu dieser Frage bislang geäußert haben (angegeben ist jeweils die jüngste zugängliche Entscheidung: KG B. v. 23.03.2019 - 3 Ws (B) 278/19 - 122/19 = VRS 137, 81; OLG Rostock B. v. 28.03.2007 - 2 Ss (OWi) 311/06 I 171/06 = VRS 113, 309; OLG Celle B. v. 25.08.2005 - 222 Ss 196/05 (OWi) - Juris; OLG Hamm B. v. 07.02.2013 - III-1 RBs 5/13 - Juris; OLG Schleswig B. v. 25.07.2003 - 1 Ss OWi 66/03 (42/03) = SchlHA 2004, 265; OLG Jena B. v. 26.05.2009 - 1 Ss 124/09 = VRS 117, 348; BayObLG B. v. 07.05.1999 - 2 ObOWi 198/99 - Juris; s. a. OLG Bamberg B. v. 04.02.2010 - 2 Ss OWi 77/10 = DAR 2010, 278; OLG Frankfurt B. v. 10.10.2001 - 2 Ws (B) 366/01 OWiG = NStZ 2001, 19).
bb)
In seiner bisherigen Rechtsprechung ist der Senat demgegenüber davon ausgegangen, dass den möglichen Fehlerquellen im Falle einer Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Polizeifahrzeug mit nicht justierten Tachometer regelmäßig dadurch begegnet werden kann, dass vom Skalenendwert des Tachometers ein Abzug von 7% und ein weiterer Abzug von 12% von der abgelesenen Geschwindigkeit vorgenommen wird (grundlegend: Senat B. v. 18.12.1990 - ...