Leitsatz (amtlich)

Der Antrag, das zum Ruhen gebrachte Scheidungs-(Verbund-)verfahren wieder aufzunehmen, kann nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil die Akten zwischenzeitlich mit Rücksicht auf den Zeitablauf nach den maßgeblichen Verwaltungsvorschriften über Aufbewahrungsfristen ausgesondert worden sind.

 

Normenkette

ZPO § 252

 

Verfahrensgang

AG Bonn (Aktenzeichen 42 F 363/01)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Auf den Antrag des Antragsgegners vom 15.10.2001 wird die Wiederaufnahme des Verfahrens 42 F 235/87 AG Bonn angeordnet.

 

Gründe

Das Rechtsmittel des Antragsgegners ist als sofortige Beschwerde gem. § 252 ZPO i.V.m. §§ 567 ff., 569 ZPO (in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung) statthaft und als solche in zulässiger Weise, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Vorschrift des § 252 ZPO gilt für alle Arten der Aussetzung sowie für alle sonstigen, den Stillstand des Verfahrens herbeiführenden oder ablehnenden Entscheidungen und daher insbesondere auch für die Entscheidung über die Ablehnung der Fortsetzung des Verfahrens (vgl. Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. § 252 Rz. 1). Für die in der Beschwerdeschrift angeführte Unterscheidung zwischen einfacher und sofortiger Beschwerde ist hierbei nach In-Kraft-Treten des ZPO-Reformgesetzes vom 27.7.2001 am 1.1.2002 kein Raum mehr; vielmehr ist – entsprechend dem neu gefassten Wortlaut von § 252 ZPO – einheitlich nur noch die sofortige (fristgebundene) Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO n.F. gegeben.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Die beantragte Wiederaufnahme des Verfahrens 42 F 235/87 AG Bonn kann mit den Erwägungen, auf die das AG die angefochtene Entscheidung gestützt hat, nicht verweigert werden:

Das AG hat zu Unrecht angenommen, dass zur Wiederaufnahme übereinstimmende Anträge beider Parteien erforderlich seien, an denen es hier – unstreitig – fehlt. Übereinstimmende Parteierklärungen fordert § 251 ZPO nur für die Ruhens-anordnung selbst, nicht jedoch für die Fortsetzung des zum Ruhen gebrachten Verfahrens; insofern genügt schon ein einseitiger Antrag (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 252 Rz. 4), weil ansonsten jede der Parteien hinsichtlich des Wunsches nach Wiederaufnahme des ruhenden Verfahrens der Gefahr willkürlicher Verweigerung der Zustimmung durch die Gegenseite ausgesetzt wäre.

Der beantragten Wiederaufnahme des Verfahrens steht aus Rechtsgründen auch nicht entgegen, dass die Akten des Verfahrens 42 F 235/87 AG Bonn zwischenzeitlich nach den maßgeblichen Aufbewahrungsbestimmungen ausgesondert worden sind. Die Aussonderung einer Gerichtsakte führt zwar dazu, dass das Aktenstück als solches – mit Ausnahme weiterhin aufbewahrungspflichtiger Bestandteile – nicht mehr körperlich zur Verfügung steht. Damit ist aber lediglich die Frage der verwaltungsmäßigen Aktenbehandlung bzw. Aktenführung berührt und nicht zugleich die prozessuale Frage der Beseitigung der einmal eingetretenen Rechtshängigkeit, die nur auf der Grundlage des Prozessrechts beantwortet werden kann. Das geltende Prozessrecht kennt mehrere gesetzliche Tatbestände der Beendigung der Rechtshängigkeit (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht 15. Aufl. S. 568); dazu gehört nicht die Aussonderung der Verfahrensakte nach Maßgabe hierzu ergangener Verwaltungsbestimmungen, die diese Frage weder – nach ihrer Zweckbestimmung – regeln sollen noch – mit Rücksicht auf ihren lediglich nachgeordneten rechtlichen Rang – regeln können. Ebenso wenig besteht ein prozessrechtlicher Grundsatz des Inhalts, dass die Rechtshängigkeit in ihrem Fortbestand durch die faktische Verfügbarkeit der Gerichtsakte bedingt ist. Insoweit gilt im Ausgangspunkt nichts anderes als beispielsweise dann, wenn die Prozessakte unauffindbar verloren geht; auch in diesem Falle kann der Aktenverlust die einmal begründete Rechtshängigkeit nicht beeinflussen.

Die Auffassung des AG ist auch mit § 1587 Abs. 1 S. 2 BGB unvereinbar. Danach gilt als Ehezeit i.S.d. Vorschriften über den Versorgungsausgleich die Zeit vom Beginn des Monats, in dem die Ehe geschlossen worden ist, bis zum Ende des Monats, der dem Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vorausgeht. Insoweit entspricht es ständiger Rechtsprechung des BGH, dass die Rechtshängigkeit durch das bloße Nichtbetreiben des Verfahrens, durch seine Aussetzung oder seinen sonstigen – auch längeren – tatsächlichen Stillstand oder auch dadurch, dass die Akte nach Maßgabe der Aktenordnung weggelegt wurde, nicht beendet wird (vgl. BGH FamRZ 1967, 460 [461];v. 27.2.1980 – IV ZB 7/79, MDR 1980, 475 = FamRZ 1980, 552 [553]; v. 13.10.1982 – IVb ZB 601/81, MDR 1983, 209 = FamRZ 1983, 38 [39 f.]; v. 18.12.1985 – IVb ZB 74/82, MDR 1986, 388 = FamRZ 1986, 335; v. 5.2.1986 – IVb ZB 56/85, MDR 1986, 481 = FamRZ 1986, 449; v. 5.6.1991 – XII ZB 133/90, MDR 1991, 873 = FamRZ 1991, 1042 [1043]; v. 27.1.2003 – XII ZR 206/91, NJW-RR 1993, 898; s. auch Palandt/Diedrichsen, 60. Aufl. § 1587 BGB Rz. 29; Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht 3. Aufl. § 1587 Rz. 30). Zw...

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