Leitsatz (amtlich)
Auch schon im Geltungsbereich des EuGVÜ ist davon auszugehen, dass die fehlende Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks dann der Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung nicht entgegensteht, wenn der Schuldner Gelegenheit hatte, die Entscheidung mit einem Rechtsmittel anzufechten und von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat.
Normenkette
EuGVÜ Art. 27 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 10 O 11/02) |
Tenor
Die Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 10. Zivilkammer des LG Aachen vom 6.3.2002 – 10 O 11/02 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der mit der Vollstreckungsklausel zu versehende Urteilstenor des Kantongerichts Maastricht vom 2.5.2001 hinsichtlich der vom Schuldner an den Gläubiger zu zahlenden Beträge wie folgt in Euro zu ergänzen ist:
Hauptsumme: 1.168,48 Euro (2.575 NLG)
Und: 233,70 Euro (515 NLG)
Kosten des Verfahrens: 316,45 Euro (698,45 NLG)
Der Schuldner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Schuldner, der inzwischen nach T. verzogen ist, hatte von dem Gläubiger eine Wohnung in dessen Haus in W./Niederlande gemietet. Auf eine Räumungs- und Zahlungsklage des Gläubigers veranlasste das Kantongericht in Maastricht die Ladung des Schuldners für den 2.5.2001 unter der Anschrift der gemieteten Wohnung. Diese Ladung erfolgte am 20.4.2001 in der Weise, dass der Gerichtsvollzieher die einleitende Prozessunterlage in einem geschlossenen Briefumschlag im Briefkasten hinterlegt hat, weil er den Schuldner unter der Anschrift nicht angetroffen hat. Diese Form der Zustellung sieht Art. 2 i.V.m. Art. 1 des niederländischen Zivilverfahrensrechts (Wetboek van Burgerlijke Rechsvorderung = Rv) für eine Zustellung am Wohnsitz vor. Nachdem der Schuldner im Termin säumig war, hat das Gericht auf Antrag des Gläubigers die Verkündung des Urteils auf denselben Tag angesetzt. In diesem Urteil wurde der Schuldner zur Räumung der Wohnung und zur Zahlung ausstehender Mietzinsforderungen verurteilt; die Räumungsfrist wurde auf eine Woche nach Zustellung des Urteils festgesetzt. Nach Zustellung dieses Urteils am 1.6.2001 wiederum unter der Adresse in W. erfolgte am 12.6.2001 die Räumung der Wohnung. Das LG Aachen hat das Urteil, soweit es um den Zahlungsanspruch und die Kosten geht, durch Beschluss vom 6.3.2002, der dem Schuldner zusammen mit dem Urteil des Kantongerichts Maastrich am 8.3.2002 zugestellt wurde, für vollstreckbar erklärt. Mit der Beschwerde macht der Schuldner geltend, er sei bereits im März 2001 nach T. umgezogen und sei, da er im April nicht mehr in W. gewohnt habe, bis 8.3.2002 in Unkenntnis des Urteils gewesen. Ihm seien weder eine Ladung noch das Urteil selbst zugestellt worden. Er habe demnach kein rechtliches Gehör gehabt. Gegen das Urt. v. 2.5.2001 hat er keinen Rechtsbehelf eingelegt.
II. Die Beschwerde des Schuldners gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus dem niederländischen Urt. v. 2.5.2001 ist zulässig, insb. form- und fristgerecht eingelegt worden (Art. 36 Abs. 1, Art. 37 EuGVÜ i.V.m. §§ 11, 12 Abs. 1 AVAG). In der Sache hat sie indes keinen Erfolg.
Die beantragte Vollstreckung aus dem Urteil des Kantongerichts ist zuzulassen.
Die Zulassung der Zwangsvollstreckung richtet sich noch nach dem EuGVÜ in der Fassung des 4. Beitrittsabkommens vom 29.11.1996, da die zu vollstreckende Entscheidung vor dem 1.3.2002 erlassen wurde, Art. 66 Abs. 1 und Abs. 2 EuGVVO.
1. Es kann zugunsten des Schuldners davon ausgegangen werden, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist (Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ). Bei dem Urteil des Kantongerichts Maastricht vom 2.5.2001 handelt es sich um eine im Versäumniswege ergangene Entscheidung, die zur Anwendung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ führt. Ob eine Zustellung ordnungsgemäß im Sinne dieser Vorschrift erfolgte, ist von dem mit der Anerkennung befassten Gericht ohne Bindungen an die Feststellungen des Ausgangsgerichts nach dem Recht des Urteilsstaats, also nach niederländischem Recht zu beurteilen (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 5. Aufl., Art. 27 Rz. 30; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Art. 27 EuGVÜ Rz. 19). Das niederländische Recht lässt zwar eine Ladung durch Hinterlassen der mit einem Umschlag versehenen gerichtlichen Ladung am Wohnsitz des Beklagten zu, wenn der Beklagte vom Gerichtsvollzieher nicht angetroffen wird, Art. 2 Abs. 1 und 2 des niederländischen Zivilverfahrensrechts. Diese Form der Ladung setzt indes voraus, dass der Beklagte dort seinen Wohnsitz i.S.d. Art. 1 : 10 niederl. Bürgerliches Gesetzbuch hat. Ob der Schuldner jedoch tatsächlich noch im April 2001 in der angemieteten Wohnung in W. wohnte, erscheint zweifelhaft. Denn er hat eine Anmeldebestätigung der Gemeinde T./Bundesrepublik Deutschland vom 16.3.2001 vorgelegt. Eine Anmeldung beim Einwohnermeldeamt einer Gemeinde setzt stets eine Abmeldung bei dem früheren Wohnsitz voraus, so dass ...