Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordnungswidrigkeitenrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit der Entscheidung im Beschlusswege, wenn das Tatgericht eine Geldbuße von 1.500,-- € und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt, nachdem die Verteidigung ihr Einverständnis unter der Bedingung erklärt hatte, dass "lediglich ein einmonatiges Fahrverbot gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (nach vorheriger Verständigung mit der Verteidigung) verhängt" werde

 

Normenkette

OWiG § 79 Abs. 1 Nr. 5, § 72 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Siegburg (Entscheidung vom 06.10.2022)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 6. Oktober 2022 wird als unbegründet verworfen

Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Siegburg gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf eine Geldbuße von 1.500 € erkannt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge aller Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Mit der hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene, das Beschlussverfahren sei gesperrt gewesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat Urteilsaufhebung beantragt.

II.

Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel bleibt in der Sache selbst ohne Erfolg.

1.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 5 OWiG eröffnete Verfahrensrüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG ist unbegründet.

a)

Ihr liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:

Mit Bußgeldbescheid des Rhein-Sieg-Kreises vom 21. April 2022 wurde gegen den Betroffenen wegen einer am 18. Februar 2022 außerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld von 700,-- € verhängt und zugleich ein zweimonatiges Fahrverbot unter Zubilligung einer Abgabefrist von vier Monaten angeordnet. Hiergegen legte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16. Mai 2022 Einspruch ein; im Einspruchsschriftsatz ist ausgeführt: "Einer eventuellen Entscheidung des Gerichts im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG wird schon jetzt ausdrücklich widersprochen".

Nach Zustellung der Terminsladung am 13. August 2022 erklärte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 17. August 2022 sein Einverständnis mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren, "wenn lediglich ein 1monatiges Fahrverbot gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (nach vorheriger Verständigung mit der Verteidigung) verhängt" werde.

Das Amtsgericht Siegburg hat dem Betroffenen mit Schreiben vom 31. August 2022 mitgeteilt, es sei beabsichtigt, die Geldbuße auf 1.500,-- € zu erhöhen und das Fahrverbot auf einen Monat zu reduzieren. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Gegen die beabsichtigte Verfahrensweise können sie gemäß § 72 OWiG Widerspruch erheben. Dieser muss innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens bei Gericht eingegangen sein. Im Falle des Widerspruchs wird Termin zur Hauptverhandlung bestimmt werden". Eine Reaktion des Betroffenen auf dieses Schreiben ist nicht mehr erfolgt.

b)

Angesichts dieser - mit der Rechtsbeschwerde zutreffend vorgetragenen (zur Vortragslast vgl. OLG Schleswig, B. v. 26.05.2004 - 1 Ss OWi 79/04 (70/04) - Juris) - prozessualen Sachlage ist die Rüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG unbegründet. Das Beschlussverfahren war nicht gesperrt.

aa)

Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht durch Beschluss entscheiden, wenn es eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält und Betroffener und Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen.

bb)

Anerkannt ist, dass der das Beschlussverfahren sperrende Widerspruch - wie hier - bereits im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde erklärt werden kann; Wirksamkeit entfaltet er mit Eingang bei Gericht (Göhler-Seitz/Bauer, OWiG, 198. Auflage 2021, § 72 Rz. 29).

Es bestehen weiter keine Bedenken dagegen, den zunächst erklärten unbedingten Widerspruch nachträglich durch das Hinzufügen von Bedingungen zum bedingten Einverständnis zu modifizieren (OLG Hamburg zfs 2019, 49). Dies ist hier als Reaktion auf den Zugang der Terminsladung mit Schriftsatz vom 17. August 2022 geschehen.

cc)

(1)

Dieser Schriftsatz enthält nämlich über bloße Anregungen hinausgehende Bedingungen für die Zulässigkeit der Entscheidung im Beschlusswege. In Fällen der vorliegenden Art ist im Einzelfall zu entscheiden, ob Erklärungen des Betroffenen, die seinem Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren hinzugefügt werden, als wirkliche Bedingungen oder lediglich als Anregungen anzusehen sind (OLG Bamberg DAR 2016, 470; Göhler-Seitz/Bauer, a.a.O. Rz. 22; Gassner/Seith-Krumm, OWiG, 2. Auflage 2020, § 72 Rz. 5). Hier ist schon nach dem Wortlaut der Erklärung (Einverständnis, "wenn ...") von echten Bedingungen auszugehen.

(2)

Diese Erklärung war auch zulässig. Es ist - auch in der Rechtsprechung des Senats - anerkannt, dass es zulässig ist, die Einverständniserklärung unter eine einschränkende Bedingung zu stellen, namentlich dann, wenn es - wie hier - ausschließlich in der Hand des Ger...

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