Leitsatz (amtlich)

Zur Glaubhaftmachung eines die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Anwaltsverschuldens bei chaotischer Fristenkontrolle.

 

Verfahrensgang

AG Bonn (Entscheidung vom 27.11.2009)

 

Tenor

1.Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten ( § 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 27.11.2009 gewährt

2. Die dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen hat er selbst zu tragen. Im übrigen fallen die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I.

Mit Urteil vom 27.11.2009 hat das Amtsgericht in Bonn den Angeklagten wegen Leistungserschleichung in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger mit am 11.01.2010 beim Amtsgericht Bonn eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt und wegen der versäumten Rechtsmittelfrist zugleich Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung hat der Verteidiger ausgeführt, der Angeklagte habe ihn unmittelbar nach der Urteilsverkündung mit der Einlegung der Berufung beauftragt. Dieser Auftrag sei wegen krankheitsbedingter Ausfälle in der Kanzlei und daraus resultierender Arbeitsüberlastung nicht ausgeführt worden. Die Richtigkeit seines Vorbringens hat der Verteidiger anwaltlich versichert und zur weiteren Glaubhaftmachung eine Kopie des Kalenders vorgelegt, in dem unter dem 02.12.2009 " RM C. einlegen !" und unter dem 4.12.2009 "C.: R.M eingelegt" notiert ist. Das Verschulden des Verteidigers an der unterbliebenen Rechtsmitteleinlegung, deren er sich erst aufgrund der Zustellung des mit Rechtskraftvermerk versehenen Urteils am 08.01.2010 bewußt geworden sei, müsse sich der Angeklagte nicht zurechnen lassen.

Durch Beschluss vom 19.02.2010 hat das Landgericht Bonn den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet verworfen. Es hat dem Vorbringen des Verteidigers nicht geglaubt, weil dieser mit der Vorgehensweise, die Schuld für eine Fristversäumnis auf sich zu nehmen, schon in einem früheren Verfahren (dessen Gegenstand ein Bewährungswiderruf war, vgl Senat Beschluss vom 7.5.2004 - 2 Ws 174/04 -) Erfolg gehabt und dies gegenüber dem Vorsitzenden Richter sinngemäß als "tolle Masche" bezeichnet habe, mit der ein Mandant jederzeit eine Wiedereinsetzung erreichen könne. Zugleich hat das Landgericht auch ein eigenes Verschulden des Angeklagten darin gesehen, dass dieser aufgrund der Erfahrungen mit seinem Verteidiger in dem Widerrufsverfahren - das ihm eine mehrwöchige Inhaftierung eingebracht habe - diesem kein Vertrauen auf eine rechtzeitige Rechtsmitteleinlegung habe schenken dürfen, sondern sich darum auch selbst habe kümmern müssen.

Hiergegen hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 05.03.2010, am 08.03.2010 bei Gericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde beim Landgericht Bonn eingelegt, mit der er zur weiteren Glaubhaftmachung seines Vorbringens Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der in seiner Kanzlei mit Fristensachen betrauten Anwaltsgehilfin und des weiteren die anwaltliche Versicherung einer in seiner Kanzlei beschäftigten Rechtsanwältin vom 03.03.2010 vorlegt, der zu folge sich der Angeklagte vor Ablauf der Rechtsmittelfrist telefonisch nach der Einlegung der Berufung erkundigt habe.

II.

Die gem. §§ 46 Abs. 3 StPO an sich statthafte, rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte und damit insgesamt zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. 44, 45 StPO zu gewähren, wenn ein Angeklagter ohne sein Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Der Wiedereinsetzungsantrag ist - wovon auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgegangen ist - mit Schriftsatz vom 11.01.2010 innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO gestellt worden, nachdem der Verteidiger die auf der unterbliebenen Rechtsmitteleinlegung beruhende Fristversäumnis aufgrund der Urteilszustellung am 08.01.2010 erkannt hatte.

2. Die tatsächlichen, den Wiedereinsetzungsgrund tragenden Umstände sind - jedenfalls im Beschwerdeverfahren - ausreichend glaubhaft gemacht worden (§ 45 Abs. 2 S. 1 StPO). Danach ist davon auszugehen, dass den Angeklagten kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist trifft.

a) Die Darstellung des Verteidigers, er sei von dem Angeklagten unmittelbar nach der Urteilsverkündung mit der Einlegung der Berufung beauftragt worden, er habe die Erledigung dieses Auftrags aber versäumt, erscheint in der Gesamtschau nunmehr ausreichend glaubhaft. Die Kalendereinträge vom 02.12. und 04.12.2009 bieten zwar das Bild einer völlig unzulänglichen, vom Verteidiger selbst treffend als "chaotisch" bezeichneten Fristenkontrolle, die mit der Erkrankung der damit betrauten Anwaltsangestellten kaum gerecht...

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