Leitsatz (amtlich)

Entschuldigtes Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung bei paranoider Psychose mit der Gefahr psychophysischer Dekompensation.

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Angeklagten als unbegründet verworfen.

II. Das (Verwerfungs-)Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Begründung ihres Antrags ausgeführt:

"I.

Die Angeklagte T. D. ist durch Urteil des Amtsgerichts Strafrichter Aachen vom 20.03.2009 422 Ds 223/08 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt worden (Bl. 106 f. d. A.).

Die Berufung der Angeklagten ist durch Urteil des Landgerichts Aachen vom 03.08.2009 71 Ns 45/09 nach § 329 StPO verworfen worden, weil sie in dem Hauptverhandlungstermin ausgeblieben ist (Bl. 170 ff. d. A.). Der Verteidiger hatte zuvor mit Schriftsatz vom 31.07.2009, beim Landgericht Aachen am selben Tag eingegangen, unter Vorlage eines ärztlichen Attestes vom 30.07.2009 gebeten, den Verhandlungstermin vom 03.08.2009 aufzuheben (Bl. 149 f. d. A.). Das Urteil ist dem Verteidiger der Angeklagten am 17.08.2009 zugestellt worden (Bl. 186 d. A.).

Mit einem am 17.08.2009 beim Landgericht Aachen eingegangenen Schriftsatz ihres Verteidigers (Bl. 178 f. d. A.) hat die Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt und gleichzeitig gegen das Urteil vom 03.08.2009 Revision eingelegt.

Durch Beschluss des Landgerichts Aachen vom 07.09.2009 71 Ns 45/09 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen worden (Bl. 188 f. d. A.). Dieser Beschluss ist dem Verteidiger der Angeklagten am 11.09.2009 zugestellt worden (Bl. 193 d. A.).

Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger mit einem am 18.09.2009 beim Landgericht Aachen eingegangenen Schriftsatz (Bl. 194 f. d. A.) sofortige Beschwerde eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 24.09.2009, beim Landgericht Aachen am selben Tag eingegangen, hat der Verteidiger die Revision begründet (Bl. 198 f. d. A.). Gerügt wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die gemäß §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthafte, rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 StPO eingelegte und daher zulässige sofortige Beschwerde gegen die Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags ist nicht begründet. In dem angefochtenen Beschluss des Landgerichts Aachen vom 07.09.2009 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus zutreffenden Erwägungen verworfen worden. Soweit sich die Angeklagte auf die (angebliche) Unwirksamkeit der Zustellung der Ladung berufen hat, hat die Kammer zu Recht festgestellt, dass die Ladung gemäß § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 180 ZPO im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ordnungsgemäß vollzogen worden ist. Im Übrigen ist das Wiedereinsetzungsgesuch auf der Kammer bereits bekannte, im Urteil gewürdigte und als zur Entschuldigung nicht geeignet angesehene Umstände, konkret auf den Inhalt des vorgelegten ärztlichen Attestes gestützt worden. Ein Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung kann aber nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht wenn auch rechtsfehlerhaft in seinem die Berufung verwerfenden Urteil bereits als nicht genügende Entschuldigung gewürdigt hat (vgl. MeyerGoßner, StPO, 52. Auflage, § 329 Rdnr. 42 m. w. N.; OLG Düsseldorf, VRS 97, 139).

Die zulässige, insbesondere form und fristgerecht erhobene Revision hat Erfolg.

Die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügende Verfahrensrüge, die Kammer habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt, greift durch.

Es ist allgemein anerkannt, dass eine Erkrankung des bzw. der Angeklagten einen Entschuldigungsgrund im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO darstellt (vgl. MeyerGoßner, a. a. O., § 329 Rdnr. 26; Paul in KK, StPO, 6. Auflage, § 329 Rdnr. 11 m. w. N.). Dies gilt schon dann, wenn das Erscheinen vor Gericht wegen der Erkrankung unzumutbar ist. Denn der Begriff der genügenden Entschuldigung darf nicht eng ausgelegt werden. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO enthält eine Ausnahme von der Regelung, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten angebracht (vgl. auch Paul in KK, a. a. O., § 329 Rdnr. 10 m. w. N.). Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seiner öffentlichrechtlichen Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d. h. wenn dem Angeklag...

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