Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergehen des nichtehelichen Vaters bei der Sorgerechtsentscheidung gem. § 1680 II 2 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der nach dem Tod der Mutter zu treffenden Entscheidung über die Übertragung der elterlichen Sorge auf den nichtehelichen Vater ist dessen Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gegen die Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abzuwägen. Im Zweifel kommt den Grundrechten des Kindes der Vorrang zu.
2. Bei einem älteren (hier 12 Jahre alten) Kind widerspricht die Sorgerechtsübertragung auf den nichtehelichen Vater in aller Regel dem Kindeswohl, wenn ein der Übertragung des Sorgerechts auf den Vater entgegenstehender, ernsthaft geäußerter Wille des Kindes übergangen würde.
Normenkette
BGB §§ 1680, 1773
Verfahrensgang
AG Bonn (Beschluss vom 05.08.2011; Aktenzeichen 406 F 125/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 5.8.2011 verkündeten Beschluss des AG -Familiengericht- Bonn (406 F 125/11) wird zurückgewiesen.
Die Kos-ten des Be-schwer-de-ver-fah-rens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird mangels Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels zurückgewiesen.
Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das AG nach dem Tod der allein sorgeberechtigten Mutter Vormundschaft für O. angeordnet und die Antragstellerin als Tante des Kindes zum Vormund bestellt. Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Nach dem Ergebnis der Kindesanhörungen durch das AG im hiesigen Verfahren am 5.8.2011 und in dem Parallelverfahren 406 F 178/11 am 3.11.2011, den ausführlichen Berichten des Verfahrensbeistands und des Jugendamts und dem weiteren Inhalt der Akten hat der Senat auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keine Zweifel, dass eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater nicht dem Kindeswohl dient (§ 1680 Abs. 2 S. 2 BGB).
Gemäß § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB hat das Familiengericht nach dem Tod der allein sorgeberechtigten nichtehelichen Mutter das Sorgerecht auf den Vater zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes dient. Eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater widerspricht dem wiederholt geäußerten, ernsthaften Kindeswillen und dient aus diesem Grunde nicht dem Kindeswohl. O. hat im Rahmen seiner Anhörung durch die zuständige Familienrichterin erklärt, dass er sich im Haushalt seiner Tante wohl fühle und dort weiter leben möchte. Eine Übersiedlung in den Haushalt des Vaters lehne er ab. Während des laufenden Verfahrens hat O. seine ablehnende Haltung gegenüber seinem Vater verstärkt. Dem Verfahrensbeistand und der zuständigen Familienrichterin in der Kindesanhörung in dem Parallelverfahren 406 F 178/11 am 3.11.2011 hat er mitgeteilt, dass er seinen Vater nicht mehr sehen wolle, er wolle von diesem einfach in Ruhe gelassen werden.
Nach Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG FamRZ 2010, 865; BVerfGE 75, 201) ist bei einer Entscheidung über die elterliche Sorge sowohl dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes als auch der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes Rechnung zu tragen. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte sei jedoch zu berücksichtigen, dass im Bereich des Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes das Wohl des Kindes immer das entscheidende Kriterium bilde, so dass dieses bei Interessenkonflikten zwischen dem Kind und seinen Eltern letztlich bestimmend sein müsse. Das Kind sei ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (BVerfG E 24, 119). Es bedürfe des Schutzes und der Hilfe, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. In einem Sorgerechtsverfahren sei der Wille des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar sei (vgl. BVerfGE 55, 171; BVerfG FamRZ 2008, 1737). Jede gerichtliche Lösung eines Konflikts, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirke, müsse nicht nur auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein, sondern das Kind auch in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nehme und es daher unmittelbar betreffe (vgl. BVerfGE 37, 217; 55, 171). Habe der Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, weil das Kind noch nicht in der Lage sei, sich einen eigenen Willen zu bilden, so komme ihm mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit des Kindes vermehrte Bedeutung zu (vgl. BVerfG FamRZ 2007, 105; BVerfG FamRZ 2007, 1078; BVerfG FamRZ 2008, 1737).
Der Senat ist überzeugt, dass das Wohl des inzwischen 12 ½-jährigen O. er...