Leitsatz (amtlich)
1. Der Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO setzt nicht voraus, dass das Gericht zugleich einen erneuten Hauptverhandlungstermin innerhalb der Unterbrechungsfrist des § 229 StPO anberaumt.
2. Allerdings kommt im Falle von Hauptverhandlungshaft dem Übermaßverbot - über das allgemeine Haftrecht hinausgehend - besondere Bedeutung zu. Denn § 230 Abs. 2 StPO setzt weder einen dringenden Tatverdacht noch einen Haftgrund nach §§ 112, 112 a StPO voraus. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es daher, die Hauptverhandlung in angemessener Zeit nach Festnahme des Angeklagten durchzuführen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der angefochtene Beschluss aufgehoben. Gegen den Angeklagten wird der aus der Anlage ersichtliche Haftbefehl erlassen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Vorlageverfügung vom 25.05.2012 den Sachstand wie folgt zusammengefasst:
"Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft A. vom 09.06.2011 werden dem Angeklagten neun Fälle des Betrugs, in sechs Fällen gewerbsmäßig handelnd, im Zeitraum zwischen dem 07.05.2005 und dem 04.06.2010 zur Last gelegt.
Trotz ordnungsgemäßer Ladung ist der Angeklagte zu dem vom Amtsgericht - Schöffengericht für den 30.03.2012 anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Zur Begründung übersandte er ein Attest des Dr. S. praktischer Arzt in ..., vom 29.03.2012, mit welchem dem Angeklagten "krankheitsbedingt Reise- und Prozessunfähigkeit" bescheinigt wird . Das Amtsgericht sah die Entschuldigung als nicht ausreichend an und erließ gegen den Angeklagte Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO .
Dem vorausgegangen war, dass der Angeklagte sich bereits zum zunächst vorgesehenen Hauptverhandlungstermin vom 14.10.2011 durch Vorlage eines Attestes desselben Arztes hatte entschuldigen lassen . Das Amtsgericht hatte daraufhin die Untersuchung des Angeklagten auf Reise- und Verhandlungsfähigkeit durch den zuständigen Gerichtsarzt bei dem Landgericht L. angeordnet, der mit Gutachten vom 19.01.2012 und 07.03.2012 Stellung nahm. Nachdem in der Stellungnahme von Januar 2012 zunächst noch empfohlen worden war, die laufenden ärztlichen Untersuchungen des Angeklagten in der Universitätsklinik M. aufgrund einer geltend gemachten rheumatischen Erkrankung abzuwarten, kam der Gerichtsarzt aufgrund einer weiteren Untersuchung des Angeklagte am 05.03.2012 zu dem Ergebnis, dass dieser reise- und verhandlungsfähig sei. Die vorangegangene Diagnostik in der Universitätsklinik habe keinen Anhalt für eine entzündliche Systemerkrankung erbracht und die von dem Angeklagten subjektiv beklagte Schmerzsymptomatik sei gegebenenfalls medikamentös ausreichend behandelbar.
Nachdem das Amtsgericht daraufhin neuen Hauptverhandlungstermin für den 30.03.2012 bestimmt hatte, beantragte der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 21.03.2012 die Begutachtung des Angeklagten durch einen Facharzt für Rheumatologie/Algesiologie. Zur Begründung führte er aus, die gutachterliche Stellungnahme des Gerichtsarztes beim Landgericht L. sei nicht geeignet, die Reise- und Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten festzustellen, insbesondere, da der Gerichtsarzt als Facharzt für Psychiatrie nicht kompetent sei, die zu klärenden medizinischen Fragen zu beantworten. Für den Fall, dass seinem Antrag nicht stattgegeben werde, kündigte der Verteidiger die Wiederholung des Antrages in der Hauptverhandlung verbunden mit einem Aussetzungs- zumindest aber Unterbrechungsantrag an. Daraufhin beauftragte der Vorsitzende des Schöffengerichts mit Beschluss vom 27.03.2012 den in A. ansässigen Gerichtsmediziner Prof. Dr. L., mündlich eine Einschätzung dazu abzugeben, ob die schriftliche Stellungnahme des Gerichtsarztes Dr. N. aus L. ausreichend sei, um die Frage der Reise- und Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten vorläufig zu klären, und, ob zur Beurteilung seines aktuellen Gesundheitszustandes die Hinzuziehung eines Mediziners, gegebenenfalls welcher Fachrichtung, zur Hauptverhandlung anzuraten sei. Prof. Dr. L. bejahte die Aussagekraft der vorliegenden gerichtsärztlichen Stellungnahme und empfahl die Hinzuziehung eines Facharztes für Psychiatrie, um im Termin die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten beurteilen zu können.
Der im Termin erschienene und beauftragte Sachverständige Dr. N., Facharzt für Psychiatrie, bestätigte dann nach Aktenlage noch einmal die Einschätzung seiner beiden Fachkollegen, dass keine Anhaltspunkte für eine fehlende Reise- oder Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten gegeben seien. Sofern dieser aufgrund eines akuten Rheumaschubes zum Zeitpunkt der anstehenden Reise zum Verhandlungstermin beeinträchtigt sein sollte, wären die Folgen eines solchen Schubes durch fachgerechte Medikation soweit einzugrenzen, dass der Angeklagte zumindest mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisefähig wäre. Ein solcher Schmerzschub trete in der Regel nicht plötzlich auf, sondern kündige sich an, so dass der Pat...