Leitsatz (amtlich)
Die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung von Minderjährigen entspricht nur dann dem Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit, wenn weniger einschneidende Mittel (etwa die Unterbringung in einer Jugendeinrichtung, Meldeauflagen, räumliche Beschränkungen des Aufenthaltsortes) nicht gleichwertig zur Verfügung stehen. Die Verwaltung hat diese Möglichkeiten vor ihrem Haftantrag zu prüfen und mit dem Antrag ausführlich darzulegen, warum derartige Mittel nicht vorhanden sind oder ungeeignet erscheinen. Fehlt es an dieser Darlegung, ist davon auszugehen, dass die Verwaltung die erforderliche Prüfung unterlassen hat und dass daher die Haftvoraussetzungen derzeit nicht vorliegen.
Normenkette
AuslG § 57 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Aachen (Beschluss vom 16.08.2002; Aktenzeichen 3 T 275/02) |
AG Aachen (Beschluss vom 25.07.2002; Aktenzeichen 41 XIV 4642) |
Tenor
Auf die weitere sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Aachen vom 16.8.2002 – 3 T 275/02 – und des AG Aachen vom 25.7.2002 – 41 XIV 4642 B. – aufgehoben und der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen hat der Antragsteller zu tragen.
Gründe
Durch Beschluss vom 25.7.2002 hat das AG Aachen gegen die 17-jährige Betroffene antragsgemäß Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde blieb erfolglos.
Die zulässige sofortige weitere Beschwerde (§§ 3, 7 FEVG, 103 AuslG, 27, 29 FGG) ist begründet.
Die angefochtene Entscheidung des LG, das auf zulässige Erstbeschwerde entschieden hat (§§ 20, 22 FGG), beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 27 FGG). Das LG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt verfahrensfehlerfrei und damit für den Senat bindend (§ 27 I S. 2 FGG) festgestellt. Die Tatsachenfeststellung trägt die angefochtene Haftanordnung nicht.
Das LG hat im angefochtenen Beschluss ausgeführt: Das AG habe mit Recht gegen die Betroffene die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 24.10.2002 angeordnet. Es bestehe sowohl der Haftgrund aus § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AuslG als auch nach § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AuslG. Die Betroffene halte sich bereits seit 1995 in der Bundesrepublik auf und sei bei der Einreise zusammen ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester im Besitz weder der erforderlichen Aufenthaltsgenehmigung noch eines Passes gewesen. Ihrer Ausreisepflicht sei sie trotz des Umstandes, dass sowohl der Asylantrag als auch zwei Folgeanträge bestandskräftig zurückgewiesen wurden, bisher nicht nachkommen sondern wiederholt untergetaucht. Im Juli 2002 sei sie nunmehr in einer Gaststätte arbeitend angetroffen worden und habe sich mit der Kopie eines gefälschten Reisepasses ausgewiesen. Eigenen Angaben zufolge sei sie seinerzeit zusammen mit ihrer Mutter und Schwester nach Bulgarien ausgereist, wo diese auch jetzt noch seien, und halte sich inzwischen seit vier bis fünf Monaten hier wieder auf und arbeite. Die angeordnete Haftdauer von drei Monaten halte sich im Rahmen des Gesetzes und sei unter Berücksichtigung der zu treffenden Abschiebungsvorbereitungen verhältnismäßig. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots, dem im Falle der Anordnung von Abschiebehaft gegenüber Minderjährigen besondere Bedeutung zukomme. Keine Anhaltspunkte seien dafür vorhanden, dass die Ausländerbehörde diesen Grundsatz nicht beachte oder gar die Betreibung der Abschiebung ungebührlich verzögere.
Diese Ausführungen halten der dem Senat obliegenden rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rechtsfehlerfrei haben die Vorinstanzen neben der Ausreisepflicht der Betroffenen den Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AuslG bejaht. Als verdachtsbegründende Umstände sind mit den Vorinstanzen – auch unter dem Gesichtspunkt rechtsuntreuen Verhaltens – anzuführen: Das zweimalige Untertauchen in die Illegalität sowie die Vorlage einer Kopie des Reisepasses einer anderen Person bei ihrer Festnahme. Ferner verfügt die Betroffene im Bundesgebiet über keinen festen Wohnsitz noch eine feste Bindung, womit der hinreichende Verdacht begründet ist, dass die Betroffene, wenn ihre Abschiebung ansteht, für die Behörde nicht ohne besondere Umstände sogleich erreichbar sein werde.
Dennoch entspricht es im vorliegenden Fall nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gegen die betroffene Minderjährige Haft zur Sicherung der Abschiebung anzuordnen. Gerade Minderjährige werden von der Vollziehung einer Haftanordnung erheblich betroffen und können hierdurch dauerhafte psychische Schäden davontragen. Nach dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allen Verwaltungshandelns, der die Ausländerbehörde in jedem Falle zwingt, das Abschiebungsverfahren mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben und unverzüglich die notwendige Vorbereitungen für die Abschiebung zu treffen. ist die Verwaltungsbehörde im Falle Minderjähriger darüber hinaus verpflichtet, ...