Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Greifen von § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB a.F. bei Abgabe einer selbstschuldnerischen Bürgschaftserklärung durch Geschäftsführer nach Vorlage am Arbeitsplatz durch Mitgesellschafter; Die Grundsätze zur Sittenwidrigkeit ruinöser Angehörigenbürgschaften durch finanziell überforderte nahe Angehörige gelten grundsätzlich nicht für GmbH-Gesellschafter und GmbH-Geschäftsführer; Eine mündliche Verhandlung ist nicht deshalb geboten, weil für den Berufungsführer faktisch auch der Ausgang mehrerer von ihm angeführter weiterer gegen ihn noch anhängiger Rechtsstreitigkeiten vom hiesigen Rechtsstreit abhänge und er bei Verlust des hiesigen Rechtstreits "im Grunde" bereits in die Insolvenz gehen müsse

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Abgabe der Bürgschaftserklärung lag keine Situation vor, die zum Widerruf der Bürgschaftserklärung nach § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB in der bis zum 12.06.2014 geltenden Fassung (a.F.) berechtigt. Verhandelt nicht der Unternehmer (hier die Klägerin) selbst, sondern wird der Verbraucher zur Abgabe der Erklärung durch einen "Dritten" (hier den Mitgeschäftsführer... des Beklagten) veranlasst, so kommt es nach bindender Auslegung des EuGH im Urteil "Crailsheimer Volksbank" zwar nicht darauf an, ob die "Haustürsituation" dem Unternehmer bekannt und subjektiv im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB zurechenbar ist, sondern das objektive Vorliegen einer Haustürsituation steht im Vordergrund. Dennoch ist vom Sinn und Zweck der Vorschrift, die vor einer Überrumpelung des Verbrauchers schützen soll, nicht jedwedes Handeln eines Dritten im Bereich des Arbeitsplatzes oder der Wohnung des Verbrauchers für ein Widerrufsrecht relevant. Vielmehr muss der Dritte "im Namen und für Rechnung" des Unternehmers in die Aushandlung und den Abschluss des Vertrages eingeschaltet sein. Daran fehlt es z.B., wenn der "Dritte" Vertrauensperson des Verbrauchers ist, die nicht zugleich im Näheverhältnis zum Unternehmer steht, oder der Dritte im Lager des Verbrauchers steht.

Die von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit ruinöser Angehörigenbürgschaften sind auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dies ist im Grundsatz für Gesellschafter-Bürgschaften selbst bei krasser finanzieller Überforderung und/oder emotionaler Verbundenheit des Bürgen mit einem die Gesellschaft beherrschenden Dritten der Fall. Diese fehlende Übertragbarkeit trifft aber genauso, wenn nicht sogar mehr auf den Geschäftsführer einer Gesellschaft zu, der sich für Gesellschaftsverbindlichkeiten verbürgt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten zu 1) ist eine mündliche Verhandlung nicht deshalb geboten, weil für ihn faktisch auch der Ausgang mehrerer von ihm angeführter weiterer gegen ihn noch anhängiger Rechtsstreitigkeiten vom hiesigen Rechtsstreit abhänge und er bei Verlust des hiesigen Rechtstreits "im Grunde" bereits in die Insolvenz gehen müsse. Nach der Gesetzesbegründung soll eine mündliche Verhandlung auch dann geboten sein, wenn das Verfahren für die Parteien von "existenzieller" Bedeutung ist, wozu in der Gesetzesbegründung Arzthaftungssachen angeführt werden. Die angeführte wirtschaftliche Bedeutung allein schließt - ungeachtet dessen, dass vorliegend der Vortrag des Beklagten zu 1 letztlich trotz Benennung der Verfahren und der in Rede stehenden Beträge vage bleibt und die "existentielle" Bedeutung so nicht dargetan ist - eine Zurückverweisung durch Beschluss indes nicht aus.

Die Möglichkeit zur Stellungnahme auf einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht das Feld für neue Tatsachenfeststellungen eröffnet, sondern die Stellungnahme den Beschränkungen der §§ 529, 530 ZPO unterliegt. Daraus folgt, dass konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, gem. § 520 Abs. 3 ZPO in der Berufungsbegründungsschrift vorzutragen sind.

 

Normenkette

BGB §§ 138, 312, 307; ZPO § 522 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 27.08.2014; Aktenzeichen 32 O 524/13)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten zu 1 gegen das am 27.8.2014 verkündete Urteil des LG Köln - 32 O 524/13 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Vollstreckbarkeit nach diesem Beschluss richtet.

Der Beklagte zu 1 trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das angefochtene Urteil und dieser Beschluss sind vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten zu 1 wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist eine Krankenversicherung, die mit Wirkung ab dem 01.07.2010 mit der H Media Service UG einen Agenturvertrag schloss. Nach diesem Vertrag sollte die H Media Service UG für die Klägerin als Versicherungsvermittlerin tätig werden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage K1 Bezug genommen. Für die Verpflichtungen der H Media Service UG übernahm der Beklagte zu 1 als deren Geschäftsführer unter dem 19.08/...

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