Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Pflegeheims für Sturz einer gebrechlichen Heimbewohnerin;
Leitsatz (amtlich)
Trotz erheblicher Sturzgefahren bei einer alten und gebrechlichen Heimbewohnerin ist das Personal des Pflegeheims nicht berechtigt, gegen den Willen der Betreuerin eine dauerhafte Fixierung vorzunehmen. Allenfalls bei einer offensichtlich unvertretbaren Entscheidung der Betreuerin kann eine Pflicht bestehen, auf eine Abänderung hinzuwirken, etwa das Vormundschaftsgericht einzuschalten.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 20.03.2015; Aktenzeichen 25 O 225/12) |
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 20.3.2015 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 225/12 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
Die Berufung hat nach gründlicher Prüfung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).
Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten wegen des Sturzes und des Bruchs des linken Oberschenkels, den ihre Versicherte U am Abend des 15.9.2009 im Pflegeheim der Beklagten erlitten hat, nicht den Ersatz von Behandlungskosten in Höhe von 7.125,51 EUR aus übergangenem Recht gemäß §§ 280 Abs. 1, 831 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, § 116 SGB X verlangen.
Eine der Beklagten zurechenbare Pflichtverletzung lässt sich nicht feststellen. Dabei kommt es nicht auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. E und die hiergegen gerichteten Angriffe der Klägerin an.
Bei einem Heimvertrag werden Obhutspflichten und inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner begründet. Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müssen das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (BGH, Urteil vom 28.4.2005 - III ZR 399/04, iuris Rdn. 6 f., abgedruckt in BGHZ 163, 53 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 17.6.2013 - 3 U 240/13, iuris Rdn. 20, abgedruckt in NJW-RR 2014, 458 ff.).
Die Beklagte musste nicht für eine dauernde Beaufsichtigung der Bewohnerin U im Sinne einer ständigen Beobachtung und Begleitung durch eine Pflegekraft sorgen, die den Sturz wahrscheinlich hätte vermeiden können. Eine entsprechende Maßnahme war für sie aus wirtschaftlichen und personellen Gründen nicht realisierbar. Es ist allgemeinbekannt, dass ein Heim mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln nicht für jeden Bewohner eine Pflegekraft anstellen kann und dass die Pflegekräfte während ihrer Arbeitszeit jeweils für die Betreuung mehrerer Bewohner zuständig sind.
Die Beklagte war nicht verpflichtet, die Bewohnerin U während des Abendessens im Speiseraum des Wohnbereichs, gegen dessen Ende sich der Sturz ereignete, im Stuhl zu fixieren. Dies gilt schon deshalb, weil eine solche Maßnahme rechtswidrig gewesen wäre. Die Betreuerin I hatte in die hierin liegende Freiheitsbeschränkung nicht eingewilligt. Ferner lag keine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vor, die gemäß § 1906 Abs. 4 BGB für regelmäßige Freiheitsentziehungen durch mechanische Vorrichtungen erforderlich gewesen wäre. Die vom LG durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Betreuerin vor dem 15.9.2009 freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie Fixierungen abgelehnt hatte. Bei ihrer Vernehmung als Zeugin hat sie bekundet, dass sie in einem Gespräch, das sie zeitlich nicht zuordnen könne, gegenüber einer Mitarbeiterin des Pflegeheims erklärt habe, dass sie nicht wolle, dass ihre Mutter - das heißt die Bewohnerin U - angebunden werde. Dass dieses Gespräch vor dem 15.9.2009 geführt worden ist, folgt daraus, dass eine Unterredung mit entsprechendem Inhalt unter dem 8.9.2009 in der Pflegedokumentation festgehalten ist. Ferner hat die Betreuerin unstreitig nach dem 15.9.2009 die Genehmigung unterbringungsähnlicher Maßnahmen beantragt. In diesen späteren Zeitraum kann das von ihr bekundete Gespräch daher nicht fallen.
Die Beklagte durfte die Entscheidung der Betreuerin, dass eine Fixierung nicht vorgenommen werden sollte, akzeptieren und musste nicht auf deren Abänderung hinwirken. Die Abwägung, ob in die Freiheit des Heimbewohners einzugreifen ist oder gesundheitliche Gefahren in Kauf genommen werden sollen, obliegt re...