Verfahrensgang
LG Bonn (Aktenzeichen 9 O 202/21) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 30.11.2021 wird der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 12.11.2021 (9 O 202/21) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 1.12.2021 aufgehoben und der Antrag des Gläubigers auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes vom 17.9.2021 zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Gläubiger.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Gläubiger hat auf seinen Antrag vom 26.8.2021 am 27.8.2021 im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Beschluss erwirkt, mit welchem der Schuldnerin untersagt wurde, einen auf der von ihr betriebenen Plattform www.facebook.com veröffentlichten Kommentar zu löschen und/oder den Gläubiger wegen dieses Kommentars zeitlich befristet durch Versetzen seines Profils in den sog. "read-only-modus" zu sperren. Diesen Beschluss hat er den Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin zunächst am 1.9.2021 im Parteibetrieb von Anwalt zu Anwalt und sodann am 10.9.2021 durch einen Gerichtsvollzieher zuzustellen versucht. Die Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin haben beide Zustellungen unter Hinweis auf ihre angeblich fehlende Zustellungsbevollmächtigung zurückgewiesen. Der Gläubiger war der von der Schuldnerin veranlassten Sperre seines Profils ("read-only-modus") für die volle Dauer von 30 Tagen ausgesetzt. Sodann wurde sein Profil von der Schuldnerin wieder freigeschaltet und am 14.10.2021 auch der streitgegenständliche Beitrag wieder hergestellt.
Das Landgericht hat auf Antrag des Gläubigers mit dem angefochtenen Beschluss ein Ordnungsgeld in Höhe von 60.000 Euro verhängt und zur Begründung ausgeführt, die Schuldnerin sei ihrer Verpflichtung aus dem Beschluss vom 27.8.2021 nicht nachgekommen. Der Gläubiger habe jedenfalls durch den Gerichtsvollzieher am 10.9.2021 eine wirksame Zustellung vorgenommen und damit innerhalb der Vollziehungsfrist der §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO die einstweilige Verfügung vollzogen. Die Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin seien im einstweiligen Verfügungsverfahren nach § 5 Abs. 1 NetzDG zustellungsbevollmächtigt gewesen, da diese Regelung durch die seit dem 28.6.2021 geltende Ausweitung auch auf Klagen auf Wiederherstellung - also bei Klagen des Nutzers gegen den Anbieter eines sozialen Netzwerks wegen unrechtmäßiger Löschung oder Sperrung - Anwendung finde. Die Schuldnerin habe den streitgegenständlichen Kommentar des Gläubigers als "Hassrede" erfasst und nicht etwa pauschal auf einen Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards verwiesen. Von daher habe der Gläubiger mangels näherer Konkretisierung davon ausgehen müssen, dass ihm ein strafbares Verhalten vorgeworfen werde.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Schuldnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde und macht geltend, eine wirksame Zustellung sei weder am 10.9.2021 noch zu einem anderem Zeitpunkt vor Ablauf der 30-tägigen Nutzungsbeschränkung des Profils des Gläubigers erfolgt. Die Regelung in § 5 Abs. 1 NetzDG nehme ausdrücklich nur Verfahren wegen "rechtswidriger Inhalte" gemäß § 1 Abs. 3 NetzDG in Bezug und um ein solches Verfahren handele es sich vorliegend nicht. Eine erweiternde Auslegung des § 5 Abs. 1 NetzDG verbiete sich mit Blick auf Systematik, Gesetzgebungsgeschichte und dem Aspekt der Richtlinienkonformität. Auch der Zweck der Regelung, die zur Bekämpfung von "Hasskriminalität und anderer strafbarer Inhalte" im Netz geschaffen worden sei, spreche gegen die Annahme einer generellen Zustellungsbevollmächtigung.
Die Schuldnerin beantragt,
den Beschluss des Landgerichts Bonn vom 12.11.2021 (9 O 202/21) aufzuheben und den Antrag des Gläubigers auf Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Schuldnerin zurückzuweisen.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 1.12.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht vorgelegt.
II. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist zulässig und begründet, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Antrag des Gläubigers auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes zurückzuweisen war.
1. Die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen die Schuldnerin nach § 890 ZPO liegen nicht vor, da es für den Zeitraum, in welchem das Profil des Gläubigers in den sog. "read-only-modus" versetzt bzw. der streitgegenständliche Beitrag nicht wieder eingestellt war, an einer wirksamen Zustellung des Beschlusses vom 27.8.2021 fehlt.
Zwar wird eine im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch Urteil erlassene Verbotsverfügung schon mit der Verkündung des Urteils sofort wirksam und ist vom Schuldner daher im Grundsatz bereits ab diesem Zeitpunkt zu beachten, wenn sie nur - wie üblich - die Ordnungsmittelandrohung enthält; die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen wie die Zustellung müssen dann erst bei Erlass des Ordnungsmittelbeschlusses vorliegen (BGH, Beschl. v. 22.1.2009 - I ZB 115/07, GRUR 2009, 890 Rn. 10 ff.; BeckOK-ZPO/Stürner, Ed. 43, § 890 Rn. 28). Das gilt aber ungeachtet der Frage ...