Leitsatz (amtlich)

Wird dem gesetzlichen Vertreter einer Partei der Streit verkündet, so ist ihm die Streitverkündungsschrift nach § 73 S. 2 ZPO ungeachtet der Zulässigkeit der Streitverkündung zuzustellen, da diese erst im Folgeverfahren zwischen dem Streitverkünder und dem Streitverkündungsempfänger zu prüfen ist. Die Vorschrift des § 72 Abs. 2 S. 2 ZPO, nach der von der Zustellung abzusehen ist, wenn dem Gericht und dem vom Gericht ernannten Sachverständigen der Streit verkündet wird, ist grundsätzlich nicht analogiefähig; ihre Anwendung setzt jedenfalls voraus, dass sich das Zustellungsverlangen mit Rücksicht auf den ungehinderten Fortgang des Verfahrens als rechtsmissbräuchlich darstellt. Das ist bei der Streitverkündung des gesetzlichen Vertreters nicht der Fall.

 

Normenkette

ZPO § § 66 ff., § 72 f., § 73

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Beschluss vom 12.06.2015; Aktenzeichen 7 O 392/14)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 23.6.2015 wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des LG Bonn vom 12.6.2015 - 7 O 392/14 - dahin abgeändert, dass das LG angewiesen wird, die Streitverkündungsschrift des Beklagten vom 10.6.2015 an den Streitverkündeten zuzustellen

 

Gründe

Die gegen die Verweigerung der Zustellung der Streitverkündungsschrift gerichtete sofortige Beschwerde ist nach § 567 ZPO zulässig (vgl. Dressler in Beck'scher Online-Kommentar ZPO, Stand 1.3.2015, § 72 Rdn. 2.1). Sie ist auch begründet.

Nach § 73 S. 2 ZPO ist die Streitverkündungsschrift dem Dritten zuzustellen und dem Gegner des Streitverkündungsempfängers in Abschrift mitzuteilen. Dabei ist die Zulässigkeit der Streitverkündung grundsätzlich nicht im Erstprozess, in dem der Streit verkündet wird, sondern erst im Folgeverfahren zwischen dem Streitverkünder und dem Streitverkündungsempfänger zu prüfen (BGHZ 188, 193 = NJW 2011, 1078). Demzufolge findet auch grundsätzlich keine Überprüfung darauf statt, ob der Streitverkündungsempfänger Dritter im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO ist. Eine Ausnahme sieht das Gesetz in § 72 Abs. 2 ZPO für Mitglieder des Spruchkörpers und den vom Gericht ernannten Sachverständigen vor. Dort ist nicht nur ausdrücklich bestimmt, dass der Sachverständige nicht Dritter im Sinne der genannten Vorschrift ist. Auch ist § 73 S. 2 ZPO nicht anzuwenden, so dass eine Zustellung der Streitverkündungschrift zu unterbleiben hat. Die Regelung des § 72 Abs. 2 S. 2 ZPO ist erst durch das Zweite Justizmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 1.1.2007 (BGBl I 2006, 3416.) eingefügt worden, um einen Streit über die Zulässigkeit der Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen endgültig zu beenden und einem prozessualen Missstand zu begegnen. Es häuften sich in der Praxis die Fälle, in denen deutlich erkennbar Parteien, die mit dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen unzufrieden waren, aus prozesstaktischen Erwägungen dem Sachverständigen den Streit verkündeten, um ihn aus dem Verfahren auszuschalten und eine Neubegutachtung zu erzwingen, auf die an sich kein prozessrechtlicher Anspruch bestanden hätte. Oft glaubten die prozessrechtlich unerfahrenen Sachverständigen, rasch beitreten zu sollen, um ihre eigene Rechtsposition zu wahren; dadurch liefen sie direkt in die "Ablehnungsfalle". Der Bundesgerichtshof hat diesem bereits von mehreren Instanzgerichten missbilligten Vorgehen, das er als unzulässig und rechtswidrig erachtet hat, ein Ende gesetzt (BGH NJW 2006, 3214; BGH NJW 2007, 919; NJW-RR 2007, 1293); dem ist der Gesetzgeber gefolgt (zum Vorstehenden Dressler a.a.O. § 72 Rdn. 61; ferner BT-Drs. 16, 3030 S. 36 f.; BGHZ 188, 193 = NJW 2011; 1978). In den angeführten Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof die Verweigerung der Zustellung der Streitverkündungschrift damit begründet, dass die Zustellung einer Streitverkündungsschrift, die eine aus den dargelegten Gründen generell unzulässige Streitverkündung an den Sachverständigen bewirken soll, vom Gericht zu verweigern sei. Dies folge daraus, dass eine Zustellung der Streitverkündungsschrift in derartigen Fällen bereits die Gefahren für einen ordnungsgemäßen Fortgang des Rechtsstreits heraufbeschwören würde, derentwegen die Streitverkündung selbst als unzulässig zu erachten ist. Im Falle einer Zustellung würde der Sachverständige, auch wenn die Streitverkündung als solche unzulässig ist, sich veranlasst sehen können, den Beitritt zum Rechtsstreit zu erklären und damit seine Befangenheit herbeizuführen. Damit wäre der Erfolg des regelmäßig rechtsmissbräuchlichen Vorgehens der Partei erreicht. Dem müsse dadurch begegnet werden, dass es schon nicht zur Zustellung der Streitverkündungsschrift komme (BGH NJW 2006, 3214 Rdn. 14). Die in Umsetzung dieser Rechtsprechung in das Gesetz eingefügte Vorschrift des § 72 Abs. 2 S. 2 ZPO ist grundsätzlich nicht analogiefähig; ihre Anwendung setzt jedenfalls voraus, dass sich das Zustellungsverlangen mit Rücksicht auf den ungehinderten Fortgang des Verfahrens als rechtmissbräuchlich darstellt (vgl. BGHZ 188, 193 = NJW 2011, 1078.; Dressle...

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