Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 112 Abs. 2 StPO gebietet eine Würdigung der Umstände des Einzelfalles, die aufgrund "bestimmter Tatsachen" erfolgen muss und aus der sich eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme ergeben muss, der Angeklagte werde sich dem (weiteren) Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen. Nicht hingegen darf im Regelfall die Annahme der Fluchtgefahr aus der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe abgeleitet werden; die in dem Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen sind bei der Prüfung der Fluchtgefahr lediglich in Verbindung mit weiteren Umständen mit zu berücksichtigen.

2. Nach § 112 Abs. 3 Buchstabe a StPO muss, aufgrund bestimmter Tatsachen, dringender Verdacht begründet sein, der Beschuldigte werde Beweismittel vernichten, beiseite schaffen etc. Es ist hierfür der Grad großer Wahrscheinlichkeit erforderlich, wobei das Verhalten des Beschuldigten zudem prozessordnungswidrig sein muss. Allein aus der Tatsache, dass Maschinenpistolen "bislang nicht sichergestellt werden" konnten, lässt sich dies nicht ableiten, zumal seit dem angeklagten Erwerb der Maschinenpistolen bis zu dem Erlass des Haftbefehls schon mehr als ein Jahr verstrichen war.

 

Verfahrensgang

AG Aachen (Beschluss vom 14.07.2000; Aktenzeichen 32 Ls 85/00)

AG Aachen (Beschluss vom 28.12.0199; Aktenzeichen 41 Gs 4320/99a)

 

Gründe

I. Gegen den damaligen Beschuldigten und jetzigen Angeklagten hat das Amtsgericht Aachen (41 Gs 4320/99 a) am 28. Dezember 1999 Haftbefehl wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz erlassen. Dieser Haftbefehl ist auf die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr gestützt. Der Angeklagte wurde am 3. April 2000 festgenommen und befindet sich seither in dieser Sache in Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft hat unter dem 23. Mai 2000 Anklage zu dem Amtsgericht - Schöffengericht - Aachen erhoben. Gegenstand der Anklage sind zwei Fälle der Hehlerei, ein Verstoß gegen § 28 Abs. 1 Satz 1 des Waffengesetzes sowie (dies die Tatvorwürfe schon aus dem Haftbefehl) Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit einem Verstoß gegen § 37 Abs. 1 Nr. 1 d des Waffengesetzes.

In der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht am 14. Juli 2000 ist die Sache durch verkündeten Beschluss vom selben Tage (32 Ls 85/00 AG Aachen) "auf unbestimmte Zeit vertagt", also ausgesetzt, worden. Zu Ziff. 2. dieses Beschlusses hat das Amtsgericht den Haftbefehl vom 28. Dezember 1999 mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass sich der dringende Tatverdacht auf alle in der Anklageschrift benannten Tatvorwürfe bezieht, dass allerdings der Haftgrund der Verdunklungsgefahr entfällt. In Ziff. 3 dieses Beschlusses hat das Schöffengericht den Haftbefehl gegen eine Kaution von 20.000,00 DM und unter näher bezeichneten Auflagen und Weisungen außer Vollzug gesetzt.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft noch in der Hauptverhandlung Beschwerde eingelegt. Die 1. große Strafkammer des Landgerichts Aachen hat zunächst mit Beschluss vom 17. Juli 2000 die Vollziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Aachen gemäß § 307 Abs. 2 StPO "außer Vollzug gesetzt". Mit Beschluss vom 31. Juli 2000 hat die Kammer sodann den Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 14. Juli 2000, durch den der Angeklagte vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden ist, aufgehoben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 2. August 2000 eingelegte weitere Beschwerde mit dem Antrag, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise, diesen gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Das Rechtsmittel ist am 14. August 2000 bei dem Senat eingegangen.

II. Die weitere Beschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 StPO statthaft und auch im übrigen zulässig. In der Sache führt das Rechtsmittel nicht nur zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sondern auch des Haftbefehls vom 28. Dezember 1999 einschließlich der Folgeentscheidung des Schöffengerichts vom 14. Juli 2000.

Allerdings ist der Angeklagte der ihm in der Anklageschrift vom 23. Mai 2000 zur Last gelegten Taten (hinsichtlich derer der Haftbefehl vom 28. Dezember 1999 durch Ziff. 2. des Beschlusses des Schöffengerichts vom 14. Juli 2000 - wenn auch nicht in einer dem § 114 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 StPO entsprechenden Weise - erweitert worden ist) nach wie vor dringend verdächtig. Auf den Vermerk des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 14. Juli 2000 wird Bezug genommen.

Der Haftbefehl ist aber - über die Entscheidung des Schöffengerichts vom 14. Juli 2000 hinaus, die im Ansatz zutreffend wenigstens auf eine Haftverschonung erkannt hat - in Ermangelung eines Haftgrundes sogar ganz aufzuheben.

Von Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO kann nicht ausgegangen werden. Mit den Anforderungen dieser Bestimmung nicht vereinbar ist zunächst die Ansicht der Staatsanwaltschaft in dem Antrag auf Erl...

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