Leitsatz (amtlich)
Anscheinsbeweis für eine alleinige Unfallverursachung bei Missachtung der besonderen Sorgfaltsanforderungen beim Anfahren vom Straßenrand gem. § 10 StVO.
Plötzliches und unerwartetes "Überholen" und nach rechts Ziehen des an einem im Anfahren vom Parkstreifen befindlichen Fahrzeugs stellt kein Verstoß gegen § 5 StVO dar.
Zur Quotelung bei entsprechendem Verstoß gegen § 10 StVO und § 7 StVO einerseits und Betriebsgefahr andererseits (hier: 100 %).
Normenkette
BGB §§ 823 ff.; StVG §§ 7, 17-18; StVO §§ 7, 9-10
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 28.11.2014; Aktenzeichen 7 O 92/14) |
Tenor
Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Aachen vom 28.11.2014 - 7 O 92/14 - gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I. Die zulässige Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Denn es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Ebenso wenig ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) oder aus anderen Gründen eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).
Das LG hat mit dem durch die Berufung angefochtenen Urteil die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Klägerin steht der mit der Klage geltend gemachte und mit der Berufung weiter verfolgte Schadensersatzanspruch gemäß §§ 7, 17 Abs. 1-3, 18 Abs. 1 und 3 StVG, 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG, 1 PflVG aus dem Verkehrsunfall vom 28.08.2012 in T, Einfahrt zum Werksgelände der Firma W, auch nach Ansicht des Senats nicht zu.
Die Klägerin haftet nämlich als Halterin des unfallbeteiligten Lkw, amtliches Kennzeichen XXX-XX 402 (Sattelzugmaschine)/XXX-XX 901 (Auflieger), alleine für die Folgen des vorgenannten Verkehrsunfalls, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG. Der Beklagte zu 1 als Fahrer des unfallbeteiligten Lkw, amtliches Kennzeichen YY-YY 7000, und dessen Haftpflichtversicherer, die Beklagte zu 2, haften nicht.
Entgegen der Ansicht der Klägerin im Rahmen ihrer Berufungsbegründung ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass der Fahrer ihres Lkw, der Zeuge I, den Unfall durch eine schuldhafte Verletzung der ihm gemäß § 10 StVO obliegenden Sorgfaltspflicht verursacht hat. Nach dieser Regelung muss derjenige, der von anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich dabei so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Gleichzeitig hat der Zeuge I als Fahrer des klägerischen Lkw zum Wechsel des Fahrstreifens nach links angesetzt, und zwar unter Missachtung der besonderen Sorgfaltspflicht gemäß § 7 Abs. 5 StVO. Danach darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
1. Den von dem LG in seiner angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen zufolge hatte der Zeuge I mit dem klägerischen Lkw nebst Auflieger zunächst auf dem Parkstreifen unmittelbar vor dessen Ende neben der Fahrbahn zur Einfahrt zu dem Werksgelände der Firma W gestanden. Kurz nach dem Anfahren von dem Parkstreifen ist es sodann in der Rechtskurve zu dem Werksgelände zum Zusammenstoß mit dem von dem Beklagten zu 1 gelenkten Lkw gekommen, als der Zeuge I nach links zog.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten würden, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Dass der Lkw der Klägerin zunächst auf dem Parkstreifen neben der Zufahrt zum Werksgelände gestanden hat, ist zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Kollision kurz nach dem Anfahren im weiteren Kurvenbereich erfolgt ist.
2. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu beanstanden, dass das LG die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises für ein Verschulden des mit dem klägerischen Lkw an- bzw. einfahrenden Zeugen I als erfüllt angesehen hat. Denn kommt es bei einer Verkehrssituation wie hier, das heißt im Zusammenhang mit dem Einfahren von einem Parkstreifen zu einer Kollision mit einem anderen, im Fließverkehr befindlichen Fahrzeug, spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Kollision darauf beruht, dass der vom Parkstreifen einfahrende Verkehrsteilnehmer die ihm nach § 10 StVO obliegende Sorgfalt nicht hinreichend beachtet hat (vergleiche zum Einfahren aus einer Parkbox: OLG Köln, Urteil vom 13.07.2011, ...