Verfahrensgang

AG Kerpen (Entscheidung vom 01.12.2004)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kerpen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall" zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Das Protokoll der Hauptverhandlung weist im Anschluss an die Urteilsverkündung aus: "Angeklagter erklärt Rechtsmittelverzicht". Einen Vermerk, dass die beurkundete Erklärung verlesen und von dem erklärenden Angeklagten genehmigt worden sei, enthält es nicht.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 08. Dezember 2004 Rechtsmittel eingelegt, welches - nach Zustellung des Urteils am 20. Dezember 2004 - mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 20. Januar 2005 zur Revision bestimmt und als solche begründet worden ist. Die Revision sieht eine etwaige Rechtsmittelverzichtserklärung als jedenfalls nicht wirksam an und beantragt unter Erhebung der näher ausgeführten Sachrüge die Aufhebung des Urteils mit seinen Feststellungen und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision wegen wirksam eingelegten Rechtsmittelverzichts als unzulässig zu verwerfen.

II.

Die nach §§ 333, 335 StPO statthafte (Sprung-) Revision ist zulässig, weil von einem wirksamen Rechtsmittelverzicht nach § 302 StPO nicht ausgegangen werden kann. Das Rechtsmittel hat auch mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg; es führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kerpen.

1.)

Ein in der Hauptverhandlung vom 01. Dezember 2004 erklärter Rechtsmittelverzicht steht der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen.

Es ist zwar davon auszugehen, dass der Angeklagte den aus dem Hauptverhandlungsprotokoll (Bl. 62 d.A.) ersichtlichen Rechtsmittelverzicht tatsächlich erklärt hat. Ihm ist jedoch die rechtliche Anerkennung zu versagen.

a)

Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Rechtsmittelsverzichts ist zunächst, dass der Erklärende verhandlungsfähig war, d.h. sich verständig und verständlich verteidigen konnte (vgl. BGH NStZ 99, 258 und NStZ 99, 526, 527; Ruß in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 302 Rn. 2). Insoweit bestehen hier keine Bedenken. Der Angeklagte hat sich umfangreich sowohl zur Person als auch zur Sache eingelassen und ein Geständnis abgelegt. Die Hauptverhandlung konnte zudem ohne Dolmetscher in deutscher Sprache durchgeführt worden.

Was die Form eines Rechtsmittelverzichts angeht, gelten die selben Bestimmungen wie für die Einlegung von Rechtsmitteln; es ist also Schriftform oder Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle erforderlich (BGHSt 18, 257, 260; BGHSt 31, 109, 111; Ruß a.a.O. Rn. 8). Ein im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärter Verzicht kann auch im Sitzungsprotokoll vermerkt werden (BGHSt 18, 257, 258; BGH NStZ 96, 297; vgl. auch die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Ruß a.a.O. Rn. 9). Hierbei handelt es sich aber nur dann um einen zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärten Verzicht, wenn die Beurkundungsförmlichkeiten des § 273 Abs. 3 StPO beachtet worden sind (vgl. BGHSt 31, 109; BGH NStZ 84, 181; BGH NStZ 96, 297; BGH NJW 97, 2691; OLG Düsseldorf NStZ 84, 44 und VRS 97, 138). Im Protokoll hätte also vermerkt werden müssen, dass die beurkundete Erklärung verlesen und vom Erklärenden, also dem Angeklagten, genehmigt worden ist (BGHSt 18, 257, 258). Daran fehlt es vorliegend. Dies führt zunächst jedoch nur dazu, dass der Vermerk nicht die weit gehende Beweiskraft des § 274 StPO genießt, sondern nur ein Beweisanzeichen ist, das den Rechtsmittelverzicht des Angeklagten beweisen kann, aber nicht notwendig zu beweisen braucht (BGH a.a.O.). Auch in einem solchen Falle ist jedoch die Form für einen Rechtsmittelverzicht gewahrt, weil die im Protokoll vermerkte Erklärung dem Erfordernis der Schriftform genügen kann (vgl. BGH NJW 84, 1973, 1974). Die in das Protokoll aufgenommene Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht des Angeklagten führt zur Wahrung der Schriftform deswegen, weil es sich - wenn die Erklärung tatsächlich abgegeben worden ist - um eine durch einen Ermächtigten niedergeschriebene Erklärung (zu verstehen: des Angeklagten selbst) handelt. Kommt einem Vermerk wie dem vorliegenden als "wesentlichem Beweisanzeichen" (BGH wistra 94, 29) für die Verzichtserklärung Bedeutung zu, so bedarf es vorliegend auch nicht etwa der Einholung dienstlicher Stellungnahme im Freibeweisverfahren dazu, ob die Verzichtserklärung tatsächlich erfolgt ist. Selbst die Revisionsbegründung stellt nicht ausdrücklich in Abrede, dass der Angeklagte einen Rechtsmittelverzicht erklärt habe. Sie führt nur aus, der Angeklagte habe dem Verteidiger (nachträglich) er...

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