Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbrechung des Vollstreckbarkeitsverfahrens durch ein ausländisches Insolvenzverfahren
Leitsatz (amtlich)
Ein in einem anderen Mitgliedstaat der EU eröffnetes Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragsgegners hat für das vor einem deutschen Gericht anhängigen Vollstreckbarkeitsverfahren nach Art. 38 ff. EuGVVO i.V.m. dem AVAG zur Folge, dass dieses Verfahren gem. § 240 ZPO unterbrochen wird, sofern es sich im Beschwerdeverfahren nach dem AVAG befindet.
Normenkette
EuInsVO Art. 16; ZPO § 240
Tenor
Es wird festgestellt, dass das Verfahren wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. dem polnischen Gesetz über das Insolvenz- und Sanierungsrecht über das Vermögen der Antragsgegnerin unterbrochen ist.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Mit einem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. Art. 730 ff. der polnischen Zivilverfahrensordnung ergangenen Beschluss vom 2.4.2007 hat das Appellationsgericht Warschau zur Sicherung eines von der französischen Antragstellerin geltend gemachten und vor einem Schiedsgericht anhängigen Schadensersatzanspruchs von 1,994 Mrd. Euro die Pfändung angeblicher Ansprüche der polnischen Antragsgegnerin gegen Drittschuldner mit Sitz in Deutschland angeordnet. Diesen Beschluss hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des LG Bonn am 14.5.2007 für vollstreckbar erklärt. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, die am 27.7.2007 eingelegt worden ist. Danach, nämlich mit Beschluss vom 21.8.2007 hat das Bezirksgericht Warschau bezüglich der Antragsgegnerin das Insolvenzverfahren eröffnet, Eigenverwaltung angeordnet und einen Vergleichsverwalter bestellt.
II. Die Eröffnung des polnischen Insolvenzverfahrens hat nach Auffassung des Senats zu einer Unterbrechung des anhängigen Beschwerdeverfahrens gem. § 240 ZPO geführt, was klarstellend festzustellen war.
1. Bei dem polnischen Insolvenzverfahren handelt es sich um ein Verfahren, das gem. Art. 16 EuInsVO anzuerkennen ist mit der Folge, dass sich deren Wirkungen auf einen in Deutschland anhängigen "Rechtsstreit" gem. Art. 15 EuInsVO nach deutschem Verfahrensrecht richten. Dies führt dazu, dass bei einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Antragsgegners in einem anderen Mitgliedsstaat der EU die Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO grundsätzlich in gleicher Weise eintritt wie bei einer inländischen (vgl. z.B. Gruber IPRax 2007, 426 [427]; Rauscher/Mäsch, EuZPR, Art. 15 EuInsVO Rz. 4; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl., § 240 Rz. 6).
Zweifelhaft und umstritten ist es allerdings, ob es sich bei dem Vollstreckbarkeitsverfahren nach Art. 38 ff. EuGVVO i.V.m. dem AVAG um einen "Rechtsstreit" i.S.d. Art. 15 EuInsVO handelt bzw. - unter nationalem Blickwinkel - ob die für das Erkenntnisverfahren geltende Vorschrift des § 240 ZPO auch im Vollstreckbarkeitsverfahren gilt. Für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Vorsitzenden der Zivilkammer gem. Art. 40, 41 EuGVVO wird dies wegen der nur einseitigen Verfahrensgestaltung ohne Möglichkeit für den Schuldner bzw. einen etwaigen Insolvenzverwalter, sich am Verfahren zu beteiligen, ganz überwiegend verneint (OLG Bamberg IPRax 2007, 454 mit insoweit zustimmender Anm. Gruber IPrax 2007, 426 [428], Hess, IPRax 1995, 16 [18]; Mankowski ZIP 2004, 1577 [1579]; OLG Dresden FamRZ 2006, 563 für ein Vollstreckbarkeitsverfahren nach dem HUVÜ 1958 i.V.m. § 2 Abs. 1 AusführungsG u. §§ 1063 Abs. 1, 1064 Abs. 2 ZPO; a.A. OLG Dresden IPRspr 2001, Nr. 182, 383; wohl auch MünchKomm/InsO/Reinhart, Art. 101 EGInsO Rz. 172).
Anders ist es dagegen beim Beschwerdeverfahren gem. Art. 43 EuGVVO i.V.m. §§ 11 ff. AVAG. Dieses ist kontradiktorisch ausgestaltet und unterscheidet sich von einer Vollstreckbarkeitsklage gem. dem §§ 722, 723 ZPO letztlich nur dadurch, dass ohne Strukturwandel das Verfahren erleichtert wird - z.B. durch eine nur fakultative mündliche Verhandlung - und aufgrund von europarechtlichen oder staatsvertraglichen Vorgaben zur Wahrung des Überraschungseffekts ggü. dem Schuldner eine Verlagerung der Prüfung möglicher Einwendungen gegen die Vollstreckbarkeit in das Beschwerdeverfahren erfolgt (Gesetzesbegründung zum AVAG 1988 - BT-Drucks. 11/351, 19). Bei dem Verfahren nach den §§ 722, 723 ZPO handelt es sich aber um solches, das die Durchsetzung ausländischer Ansprüche vorbereiten soll und damit um einen "ordentlichen Zivilprozess", auf das die allgemeinen Vorschriften des Erkenntnisverfahrens Anwendung finden (BGHZ 118, 312 [316], unter juris Gliederungs-Nr. 11). Nichts anderes kann daher auch für das vereinfachte kontradiktorische Verfahren nach Art. 43 EuGVVO i.V.m. §§ 11 ff. AVAG gelten, auf das im Übrigen die Vorschriften der §§ 567 ZPO über das Beschwerdeverfahren ergänzend Anwendung finden (BT-Drucks. 11/351, 23). Deswegen ist § 240 ZPO als Teil des allgemeinen Verfahrensrechts zumindest im Falle einer Inlandsinsolvenz auch auf das Beschwerdeverfahren nach dem AVAG anzuwenden (OLG Zweibrücken NZI 2001, 148; Gruber, a.a.O., S. 429, Hess, a.a.O., ...